Die Nacht zum Dreizehnten
bugsierte.
»Ich bringe Sie in das Verbandszimmer! Dr. Bruckner möchte die Kanüle entfernen, die Sie noch in Ihrer Brust tragen. Das –«, er hob seinen knochigen Zeigefinger, »ist eines der ersten Zeichen Ihrer Genesung. Ab geht die Post!« Er hatte das Bett auf den Flur hinausgefahren und schloß die Tür. Vorsichtig dirigierte er dann das Bett über den Korridor zum Fahrstuhl, fuhr es hinein und drückte auf den Knopf, der den Fahrstuhl zum Verbandszimmer in Bewegung setzte.
»Tut das weh?« Dietmar fühlte plötzlich Angst. Es war die Angst, diejeder hat, wenn er weiß, daß an seinem Körper irgend etwas manipuliert werden soll. »Bekomme ich eine Narkose?«
Chiron schmunzelte. »Eine Narkose bei einer solchen Kleinigkeit wäre ein schlimmerer Eingriff als es die Entfernung der Kanüle ist. Die meisten Laien –«, er legte die ganze Bedeutung seiner Stimme in das Wort hinein, »halten eine Narkose immer für etwas Ungefährliches. Sie dürfen aber nicht vergessen, daß die Narkose auch eine Vergiftung des Körpers ist.« Der Fahrstuhl hielt. Chiron drückte die Tür auf und fuhr das Bett auf den Gang hinaus. »Alle Betäubungsmittel«, führte er aus, als er das Bett über den Flur schob, »sind Gifte. Der Körper wird vergiftet. Der Narkotiseur weiß aus Erfahrung, wieviel Gift er geben kann, damit kein Exitus eintritt …«
Chiron bremste und öffnete die Tür, die in das Verbandszimmer führte. Er schob das Bett hinein. »Wir sprechen in der Medizin von einem Exitus, wenn jemand durch den Ausgang des Lebens geht …«
»Was reden Sie da wieder für einen Unsinn zusammen!« Dr. Bruckner hatte die letzten Worte des alten Pflegers gehört. »Sie wollen unserem Patienten doch nicht etwa Angst machen?«
»Im Gegenteil!« wehrte sich Chiron. »Ich wollte ihm nur klarmachen, daß bei einem so kleinen Eingriff, wie Sie ihn vornehmen, eine Narkose gefährlicher wäre als der kleine Eingriff selbst.«
»Wir ziehen Ihnen nur eine Kanüle heraus, das tut in keiner Weise weh. Umgekehrt wäre es unangenehmer. Denn dann müßte ich durch die Haut stechen und würde Nerven verletzen. Das schmerzt! Aber das Herausziehen eines Schlauches ist vollkommen harmlos.«
Er deutete auf die Mitte des Raumes. Chiron schob das Bett unter die große Deckenlampe. Schwester Ariane stand neben einem Instrumententisch.
Dietmar Bursonis Angst wich, als er Ariane sah. Sie erschien ihm wie ein rettender Engel, der ihm die Angst nahm. Er versuchte, sie anzulächeln, aber sein Gesicht spannte immer noch. Er hatte das Gefühl, daß aus dem Lächeln höchstens eine Grimasse wurde.
»Herr Streiber kann wieder sprechen«, berichtete Chiron stolz. »Ich habe mich auf dem ganzen Weg hierher mit ihm unterhalten.«
Thomas Bruckner winkte dem leicht schwatzhaften Pfleger ab und deckte das Bett auf. Er nahm das Tuch herunter, das über dem Drahtkäfig lag. Dann hob er das Drahtgestell hoch, und Schwester Ariane reichte ihm eine Pinzette und eine Mull-Lage.
Der Oberarzt band sich einen Mundschutz vor das Gesicht, zog Gummihandschuhe über und griff nach der Kanüle, die aus der Brust herausragte. »Sie können Schwester Ariane danken, denn sie hat ihr Leben gerettet.« Während Dr. Bruckner sprach, hatte er mit einem Ruck die Kanüle aus der Brust herausgezogen und die Muliplatte gegen die Stichöffnung gedrückt.
»Ich habe es schon gehört. Dr. Heidmann sagte es, daß Sie –«, seine Augen ruhten dankbar auf Arianes Gesicht, »zur richtigen Zeit die richtige Maßnahme ergriffen haben. Ich danke Ihnen.«
Ariane Quenstadt war dieses Kompliment unangenehm. Sie sah die blauen Augen, die aus dem immer noch unförmigen Gesicht schauten, auf sich gerichtet. »Ich habe nur das getan, was meine Pflicht war«, wehrte sie das Kompliment ab.
»Trotzdem …« Dietmar streckte seine Hand aus und griff nach Arianes Hand. »Ich hatte einmal einen Bruder, Daniel hieß er.« Der Patient wandte kein Auge von Ariane. »Er ist leider bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückt. Er kam vielleicht in die falschen Hände; jedenfalls starb er nach kurzer Zeit, nachdem er in ein Krankenhaus eingeliefert worden war.«
»In welche Klinik ist er gekommen?« Bruckner zog; die Handschuhe aus und setzte den Mundschutz ab.
»Es war irgendwo in Südfrankreich. Das ist nun schon über …«, er überlegte, »zehn Jahre her! Mein Bruder liebte schnelle Autos, Flugzeuge und –«, der Patient versuchte zu lächeln, aber wieder wurde es nur eine Grimasse,
Weitere Kostenlose Bücher