Die Nacht zum Dreizehnten
»tolle Frauen«, vollendete er seinen Satz. »Wann ziehen Sie denn die Kanüle?«
»Die ist schon lange draußen! Da liegt sie.« Thomas Bruckner deutete auf die Glasschale, die Schwester Ariane in der Hand hielt. In ihr lag die Nadel. »Das ist das Instrument, das Ihnen Schwester Ariane in die Brust gestoßen hat.«
»Ins Herz hinein«, ergänzte Bursoni Dr. Bruckners Worte. Seine Blicke ruhten wieder auf Ariane, die sich errötend abwandte.
»So tief habe ich aber wirklich nicht gestoßen. Ich weiß doch, wo das Herz liegt.«
»Ich auch!« Dietmars Stimme klang mit einem Mal sehr ernst. »Auf der linken Seite. Und genau dahin haben Sie die Nadel gestoßen.«
»Kann ich Herrn Streiber in sein Zimmer bringen?« Chiron wurde die Unterredung langweilig. Er trat an das Kopfende des Bettes, packte es mit beiden Händen an und schaute Dr. Bruckner fragend an.
»Selbstverständlich!«
»Darf ich dann aufstehen?«
»Das können Sie, aber vorsichtig. Schwester Ariane wird Ihnen dabei helfen. Die ersten Schritte nach einer Operation sind nicht ganz einfach. Wir haben Ihnen ja auch noch den Dünndarm, der durch den Hufschlag verletzt worden war, operiert. Aber stehen Sie trotzdem auf, auch wenn die Bauchwunde selbst noch etwas schmerzen sollte. Je eher Sie sich bewegen, desto geringer ist die Gefahr einer Lungenembolie.« Bruckner wandte sich an die Schwester: »Sie werden Herrn Streiber bei seinen ersten Gehversuchen helfen?«
»Nachdem Sie mich mit Ihrer Nadel ins Herz getroffen haben, werden Sie mir ja nun wohl Ihren Arm leihen müssen, damit ich wieder auf die Beine komme!« Dietmar Bursoni winkte Ariane zu, die die Tür geöffnet hatte, um Chiron die Möglichkeit zu geben, das Bett hinauszuschieben. Als die Schwester danach keine Anstalten machte, dem Patienten zu folgen, trat Dr. Bruckner auf sie zu.
»Ich empfehle, daß Sie sich um Ihren Patienten kümmern. Schließlich haben Sie ihn operiert, da liegt es doch nahe, daß Sie ihn jetzt auch betreuen.«
»Ich muß doch hier noch aufräumen.« Schwester Ariane deutete auf die Instrumente, die herumlagen.
»Das wird eine Hilfsschwester machen. Sie –«, Dr. Bruckners Stimme ließ keinen Widerspruch zu, »gehen jetzt bitte auf Station und kümmern sich um Herrn Streiber. Sorgen Sie vor allem dafür, daß er auf keinen Fall einen Spiegel in die Hand bekommt. Noch sieht er so furchtbar aus, daß er vor sich selbst erschrecken würde, wenn er sich sehen könnte.«
Ariane Quenstadt zögerte einen Augenblick, dann ging sie zur Tür. »Wenn Sie meinen …«
»Ich meine es!« Dr. Bruckner schob sie zur Tür hinaus. »Seien Sie nett zu ihm. Er kann es im Augenblick wirklich gebrauchen.«
*
»Wohin möchten Sie?« Der Pförtner hielt den jungen Mann zurück, der an ihm vorbei in die Klinik gehen wollte. Mißtrauisch betrachtete er ihn von oben bis unten. Die Kluft des jungen Mannes gefiel ihm nicht: abgewetzte Blue jeans, ausgefranste Turnschuhe, ein etwas schmuddeliger Pullover … Es war sicherlich ein Gammler.
»Ich wollte Harald Streiber besuchen! Das ist nämlich ein Kollege von mir. Er ist gestern hier eingeliefert worden.«
»Harald Streiber«, wiederholte der Pförtner. »Einen Augenblick, bitte!«
Er betrat seine Loge, nahm den Karteikasten heraus, in dem die Namen der Patienten verzeichnet waren, und blätterte die einzelnen Karten durch.
»Da haben wir ihn! Ja, der ist gestern eingeliefert worden. Sie wollen ihn also besuchen? Nun ja …« Er stellte den Karteikasten zurück, klappte den Deckel zu und ging zu dem jungen Mann. Er deutete auf den Eingang zur Chirurgischen Klinik. »Gehen Sie da hinein! Er liegt in der dritten Etage. Fragen Sie dort noch einmal. Die Zimmernummer kann ich Ihnen leider nicht angeben.«
Er schaute dem Besucher nach, wie dieser das Gebäude betrat, ging dann in seine Loge zurück und nahm den Telefonhörer. Er hielt es für seine Pflicht, auf jeden Fall die Station zu benachrichtigen.
Schwester Angelika meldete sich. »Da kommt Besuch für Herrn Streiber. Ich wollte es Ihnen nur sagen. Der Mann macht keinen allzu vertrauenerweckenden Eindruck.«
Der Besucher ging zögernd den Korridor entlang. Als er vor dem Fahrstuhl stand, überlegte er, ob er ihn benutzen sollte, aber die Klinikatmosphäre flößte ihm Furcht ein. Alles erschien ihm fremd und ungewöhnlich.
Er stieg langsam die Treppen hinauf. Im dritten Stock blieb er stehen, drückte auf den Klingelknopf und wartete, bis eine Schwester kam und ihm die Tür
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