Die Nachtwächter
Ornamenten gefertigt.
Wenn Mumm ihn trug, kam er sich jedes Mal wie ein Klassenverräter
vor. Er verabscheute die Vorstel ung, dass man ihn für einen jener
Leute hielt, die dämliche verzierte Rüstungen trugen. Er verspürte
sozusagen das vergoldete schlechte Gewissen.
Er drehte die Fliederblüte zwischen den Fingern hin und her, nahm
erneut den berauschenden Duft wahr. Ja… es war nicht immer so
gewesen…
Jemand hatte gerade zu ihm gesprochen. Er sah auf.
»Was?«, fragte er scharf.
»Ich habe mich nach dem Befinden Ihrer Ladyschaft erkundigt«, sagte
der Butler überrascht. »Ist alles in Ordnung, Euer Gnaden?«
»Was? Oh, ja. Nein. Ich bin soweit in Ordnung. Und Ihre Ladyschaft
ebenfal s, danke. Ich habe bei ihr vorbeigeschaut, bevor ich nach
draußen gegangen bin. Frau Zufrieden ist bei ihr. Sie meint, es dauert
noch eine Weile.«
»Ich werde die Küche trotzdem anweisen, genügend heißes Wasser
vorzubereiten, Euer Gnaden, nur für den Fall«, sagte Willikins und half
Mumm beim Anlegen des vergoldeten Brustharnischs.
»Ja. Wozu braucht man all das Wasser, was meinst du?«
»Ich weiß es nicht, Euer Gnaden«, erwiderte Willikins.
»Wahrscheinlich ist es besser, nicht danach zu fragen.«
Mumm nickte. Sybil hatte mit sanftem Nachdruck darauf
hingewiesen, dass er bei dieser Angelegenheit nicht gebraucht wurde. Er
musste zugeben, dass es ihm eine gewisse Erleichterung bescherte.
Er reichte Willikins die Fliederblüte. Der Butler nahm sie
kommentarlos entgegen und schob sie in ein mit Wasser gefül tes
Silberröhrchen, in dem sie stundenlang frisch bleiben würde. Das
Röhrchen befestigte er an einem Riemen des Brustharnischs.
»Die Zeit vergeht, Euer Gnaden«, sagte er und staubte ihn mit einer
kleiner Bürste ab.
Mumm holte seine Uhr hervor. »In der Tat. Auf dem Weg zum Palast
mache ich einen Abstecher zum Wachhaus und unterschreibe dort, was
unterschrieben werden muss. Ich bin so schnell wie möglich zurück.«
Willikins bedachte ihn mit einem Blick, in dem für einen Butler
ungebührliche Sorge zum Ausdruck kam. »Ich bin sicher, Ihre
Ladyschaft wird alles gut überstehen, Euer Gnaden«, sagte er.
»Natürlich ist sie nicht, nicht…«
»… nicht mehr jung«, warf Mumm ein.
»Nun, sie ist reicher an Jahren als viele andere Primigravidae«, sagte
Willikins glatt. »Aber sie ist auch stabil gebaut, wenn du mir diese
Bemerkung gestattest, Euer Gnaden, und ihre Familie hat
traditionsgemäß kaum Niederkunftsprobleme…«
»Primi was?«
»Neue Mütter, Euer Gnaden. Es wäre Ihrer Ladyschaft bestimmt
lieber, wenn du irgendwelchen Schurken nachjagst, anstatt Löcher in
den Bibliotheksteppich zu treten.«
»Da hast du vermutlich Recht, Willikins. Äh… Da fällt mir ein: Eine
junge Frau schwimmt in der alten Jauchegrube, Willikins.«
»Sehr wohl, Euer Gnaden. Ich werde sofort den Küchenjungen mit
einer Leiter dorthin schicken. Eine Nachricht für die Assassinengilde?«
»Gute Idee. Die junge Dame braucht ein Bad und saubere
Klamotten.«
»Ich glaube, der Schlauch in der alten Spülküche wäre vielleicht
angemessener, Euer Gnaden? Zumindest zu Anfang?«
»Guter Hinweis. Kümmere dich darum. Ich muss jetzt los.«
Im Hauptbüro des Wachhauses am Pseudopolisplatz rückte Feldwebel
Colon geistesabwesend die Fliederblüte zurecht, die er sich wie eine
Feder an den Helm gesteckt hatte.
»Sie werden sehr seltsam, Nobby«, sagte er und blätterte lustlos durch
den morgendlichen Papierkram. »Typisch für Polizisten. Mir ging’s
ebenso, als ich Kinder hatte. Man wird hart.«
»Was meinst du mit hart?«, fragte Korporal Nobbs, der vermutlich
der beste lebende Beweis dafür war, dass es einen glatten Übergang
zwischen Menschen und Tieren gab.
»Nun…«, sagte Colon und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Es
ist wie… Nun, wenn du in unser Alter kommst…« Er sah Nobby an
und zögerte. Schon seit einigen Jahren gab Nobby sein Alter mit
»wahrscheinlich 34« an; die Familie Nobbs konnte nicht gut zählen.
»Ich meine, wenn ein Mann ein… gewisses Alter erreicht«, versuchte
er es erneut, »weiß er, dass die Welt nie perfekt sein wird. Er gewöhnt
sich daran, dass sie ein wenig…«
»Schmutzig ist?«, vermutete Nobby. Hinter seinem Ohr, wo für
gewöhnlich eine Zigarette steckte, zeigte sich eine verwelkende
Fliederblüte.
»Genau«, sagte Colon. »Man begreift, dass die Welt nie perfekt sein
wird, und deshalb findet man sich mit ihr ab,
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