Die Nachtwächter
Funkelgasse.
Ja.«
Er war zurück.
Nicht al zu viele Schritte trennten ihn von der Sirupminenstraße, und
als er sich dem Wachhaus zuwandte, fiel ihm die Farbe auf.
Dort war er, wuchs über eine Gartenmauer hinweg. Überal in der
Stadt gab es Flieder. Es war eine zähe Pflanze, die nicht so schnel
verzagte, womit sie sich bestens für Ankh-Morpork eignete. Mumm
betrachtete die angeschwollenen Blütenknospen.
Er stand da wie ein Mann, der auf ein altes Schlachtfeld starrte.
… Sie fliegen empor mit den Händen nach oben, mit den Händen, den Händen nach oben…
Mumm rief sich innerlich zur Ordnung. Stell dir vor, dass die Dinge
nacheinander geschehen, dachte er. Geh nicht davon aus, dass du weißt,
was passiert, denn vielleicht passiert es nicht. Sei du selbst.
Und weil Mumm er selbst war, besuchte er kleine Läden in dunklen
Gassen, kaufte dort gewisse Dinge und machte sich an die Arbeit.
Gegen Mittag war das Haus der Nachtwache in der Sirupminenstraße
meistens leer, aber Mumm wusste, dass zumindest Schnauzi da sein
würde. Er war ein Beharrlicher Herumhänger, wie Nobby und auch
Colon, Karotte und selbst Mumm, wenn man es genau nahm. Im
Dienst zu sein – das war ihr normaler Zustand. Sie hielten sich selbst
dann im Wachhaus auf, wenn sie nicht im Dienst waren, denn dort fand
ihr Leben statt. Die Identität des Polizisten hängte man nicht einfach an
den Nagel, wenn man nach Hause ging. Aber ich werde lernen, wie man
das macht, dachte Mumm. Wenn ich zurückkehre, wird al es anders
sein.
Er ging nach hinten und trat durch den Stal eingang. Die Tür war
nicht einmal verriegelt. Die erste schlechte Note, Jungs. Die eiserne
Masse des Gefangenenwagens stand leer auf dem Kopfsteinpflaster.
Dahinter befand sich das, was man »Stäl e« nannte. Eigentlich waren
die Ställe das Erdgeschoss von etwas, das zum industriellen Erbe von
Ankh-Morpork zählte, falls jemand es aus dieser Perspektive sehen
wol te. Die Leute hielten den ganzen Kram für Schrott, der zu schwer
war, um weggeschafft zu werden. Es waren Teile der Winden einer
alten, längst aufgegebenen Sirupmine. Einer der Fördereimer war noch
vorhanden, an den Boden geklebt von seiner letzten Fracht: Der
schwere, klebrige Rohsirup war im getrockneten Zustand härter als
Zement und wasserdichter als Teer. Mumm erinnerte sich daran, wie er
als Kind von den Grubenarbeitern Erdsirupbrocken erbettelt hatte. Ein
kleines Stück mit der Süße prähistorischen Zuckerrohrs genügte, um
den Mund eines Kindes eine Woche lang glücklich geschlossen zu
halten.*
In dem Stal mit dem Sirupdach stand das Pferd und kaute auf
schlechtem Heu. Mumm wusste, dass es ein Pferd war, denn es hatte
vier Hufe, einen Schweif, einen Kopf mit einer Mähne und ein schäbig
wirkendes Fell. Aus einem anderen Blickwinkel gesehen war es eine
halbe Tonne Knochen, von Rosshaar zusammengehalten.
Mumm klopfte ihm behutsam auf den Rücken – als natürlicher
Fußgänger hatte er sich in der Nähe von Pferden immer unwohl
gefühlt. Er nahm ein schmutziges Klemmbrett von einem nahen Haken
und blätterte. Dann sah er sich noch einmal auf dem Hof um. Tilden
hielt sich nie damit auf. Er sah sich den Schweinestal in der Ecke an, in
dem Klopf sein Schwein hielt, dann den Hühnerauslauf, den
Taubenschlag und die ungeschickt zusammengehämmerten
Kaninchenkäfige. Anschließend stel te er einige Berechnungen an.
Das alte Wachhaus! Es war alles da, genau wie damals, als er
begonnen hatte. Einst waren es zwei Häuser gewesen, und eins davon
hatte als Büro für die Sirupmine gedient. Alles in der Stadt war einmal
etwas anderes gewesen. Dieser Ort war ein Irrgarten aus versperrten
Türen, alten Fenstern und winzigen Zimmern.
Mumm wanderte umher wie in einem Museum. Dort der alte Helm
auf einem Stock, für Zielübungen! Und dort Feldwebel Klopfs
Lehnsessel mit den gebrochenen Federn! Darin saß er an sonnigen
Nachmittagen…
Und drinnen der Geruch: Bohnerwachs, alter Schweiß, Poliermittel
für Brustharnische, Tinte, das vage Aroma von gebratenem Fisch und
* Aus den Wäldern der Vorzeit wird Kohle, und auf die gJeiche Weise können
sich natürliche Ansammlungen von Zuckerrohr unter dem Druck der
Jahrtausende in eine Masse verwandeln, die man in verschiedenen Regionen
der Scheibenweit Leckerbrei, Erdsirup oder Felsmelasse nennt. Doch das
Rohmaterial musste lange gekocht und gereinigt werden, um den
dickflüssigen, goldenen Sirup zu ergeben, den
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