Die Nachtwächter
Wisst ihr wenigstens die Namen der Gefangenen?«
»Der Befehl lautet, sie zu übergeben«, erwiderte Klopf und versuchte
es mit ein wenig Trotz. »Wir sol en die Leute zur Sondergruppe bringen
und dann gehen.«
Mumm merkte sich das, um später noch einmal darauf
zurückzukommen. »Nun, ich bin nicht dorthin gebracht worden, weil
wir ein… Missverständnis hatten. Und wie ihr seht, war es ein größeres
Missverständnis, als ihr dachtet, denn ich sitze nicht im Kittchen und zähle dort die Kakerlaken, Klopf. Nein, ganz gewiss nicht.« Er trat
einige Schritte vor. »Ich stehe vor dir, Klopf. Das stimmt doch, oder?«
»Ja, Chef«, murmelte Klopf. Furcht und Zorn hatten ihn erbleichen
lassen.
»Ja, genau«, sagte Mumm. »Aber es saß noch jemand in der Zel e, und
der ist jetzt weg. Ich möchte nur dies wissen: wie viel und für wen?
Spart euch die Blicke engelhafter Unschuld und Antworten in der Art
von ›Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest, Herr‹. Ich möchte
schlicht und einfach wissen: wie viel und für wen?«
Eine Wolke aus roter, verärgerter Solidarität senkte sich auf die
Gesichter vor Mumm herab. Aber er brauchte gar keine Antwort. Er
erinnerte sich. Korporal Schrul e hatte immer ein privates Einkommen
aus Schmiergeldern gehabt. Er war wie Nobby Nobbs gewesen, aber
ohne dessen liebenswürdige Inkompetenz. Ein tüchtiger Nobby, und
man konnte der Mischung noch Schikane, Arschkriecherei und Freude
an Gemeinheiten hinzufügen.
Mumms Blick fiel auf Schrul e und verharrte dort.
»Ich weiß, dass du gestern Abend mit dem Wagen unterwegs warst«,
sagte er. »Zusammen mit dem Gefreiten, äh, Mumm. So steht es hier.«
»Die Anständigen brauchen wir nicht zu belästigen«, sagte Schrul e.
Und der junge Mumm fragte: »Wie stellen wir fest, ob jemand anständig ist, Korporal?«
»Indem wir herausfinden, wie viel er sich leisten kann.«
»Du meinst, wir lassen die Reichen gehen?«
»Das ist der Lauf der Welt, mein Junge, der Lauf der Welt. Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht unseren Anteil daran bekommen sol ten. Siehst du diesen Geldbeutel hier? Fünf Dol ar sol ten genügen. Vier für mich und einen für dich, weil du noch lernst. Das ist der Sold von fast drei Tagen, und deine Mutter freut sich bestimmt, und wer hat den Schaden?«
»Aber angenommen, er hat das Geld geklaut, Korporal?«
»Angenommen, der Mond besteht aus Käse. Möchtest du ein Stück?«
»Ich glaube, es waren fünf Dollar, Korporal«, sagte Mumm und
beobachtete, wie Schrul es Blick zu dem jungen Gefreiten huschte.
»Nein, ich weiß es von dem Mann in der Zelle«, log Mumm. »Er
meinte, ich sei ein Narr, weil ich mich nicht freikaufte. Nun, Herr
Schrul e, die Sache sieht so aus: Die Tagwache sucht nach guten Leuten,
aber wenn du nicht zu sehr im Licht stehst, nimmt sie dich vielleicht.
Ich schlage vor, du brichst sofort auf!«
»Al e machen es!«, platzte es aus Schrul e heraus. »Es sind
Nebeneinkünfte !«
»Alle?«, fragte Mumm, und musterte die anderen Wächter. »Alle
lassen sich bestechen?«
Sein Blick glitt von Gesicht zu Gesicht, und sofort verwandelten sich
die Wächter in Dielen-und-Decke-Inspektoren. Nur drei begegneten
Mumms Blick: Obergefreiter Colon, der ein wenig schwer von Begriff
sein konnte; ein gewisser junger Mann, die Miene vol er Entsetzen; und
ein dunkelhaariger, rundgesichtiger Gefreiter, der verwirrt wirkte und
anscheinend versuchte, sich an etwas zu erinnern. Er hatte den
unerschütterlichen Blick des wahren Lügners.
»Offenbar nicht«, sagte Mumm.
Schrul es Zeigefinger schoss nach vorn und deutete zitternd auf den
jungen Sam Mumm.
»Er hat auch was davon genommen! Frag ihn!«
Mumm spürte den Schock der Truppe. Schrul e hatte gerade
Selbstmord begangen. Man hielt gegen Offiziere zusammen, und selbst
wenn das Spiel aus war: Auf keinen Fall verpetzte man jemanden. Die
Männer hätten über die Vorstel ung einer Wächterehre gelacht, aber sie
existierte, auf eine dunkle, verdrehte Art und Weise. Man riss
niemanden rein. Schon gar nicht einen Grünschnabel, der es nicht
besser wusste.
Zum ersten Mal wandte sich Mumm dem jungen Mann zu, den er
bisher zu ignorieren versucht hatte.
Bei den Göttern, bin ich jemals so dürr gewesen?, dachte er.
Und hatte ich einen so großen Adamsapfel? Und habe ich wirklich
versucht, Rost zu polieren?
Der junge Mann hatte so sehr die Augen verdreht, dass in ihnen kaum
mehr als das Weiße zu sehen war.
»Gefreiter Mumm,
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