Die Nachtwächter
der ebenso verrückt war wie er, hatte versucht,
ihn umzulegen, und es wäre ihm auch gelungen, wenn sich Winder
nicht im falschen Augenblick bewegt hätte. Der Pfeil traf Seine
Lordschaft in den Arm, und die Leute sagten – womit namenlose Leute
gemeint waren, die sich abends in Tavernen treffen; die Wunde hätte
seinen Geist weiter vergiftet und ihn noch schlimmer gemacht. Er
begegnete al em und jedem mit Argwohn. Überal sah er Mörder und
Attentäter. Gerüchten zufolge wachte er nachts schweißgebadet auf,
weil sie ihn sogar im Traum bedrohten.
Während er wach war, glaubte er, dass sich überal Verschwörer und
Spione herumtrieben, und er wies seine Männer an, sie aufzustöbern.
Und wenn man versucht, Verschwörer und Spione aufzustöbern, die
sich überal herumtreiben, wimmelt es bald von ihnen, selbst wenn es
zu Anfang keine Verschwörer und Spione gibt.
Zum Glück hatte die Nachtwache kaum etwas mit dem eigentlichen
Aufstöbern zu tun – sie verhaftete nur die Überbleibsel. Die speziel e
Wache in der Ankertaugasse war die lange Hand des Verfolgungswahns
Seiner Lordschaft. Die Sondergruppe, so hieß sie offiziell. Aber soweit
sich Mumm zurückerinnern konnte, hatte sie den Spitznamen »die
Unaussprechlichen« getragen. Sie waren diejenigen, die in jedem
Schatten lauschten und durch jedes Fenster sahen. So schien es
jedenfalls. Zweifellos waren sie diejenigen, die mitten in der Nacht an
Türen klopften.
Mumm blieb im Dunkeln stehen. Seine billige Kleidung war
durchnässt, er hatte kalte Füße, Regen tropfte von seinem Kinn, und
ein weiter, weiter Weg trennte ihn von zu Hause. Doch auf eine
verräterische Art und Weise war dies sein Zuhause. Den größten Teil
seiner Tage hatte er damit verbracht, nachts zu arbeiten. Sein Leben
bestand praktisch daraus, durch die regennassen Straßen der
schlafenden Stadt zu wandern.
Das Wesen der Nacht veränderte sich, aber das Wesen des Tiers blieb
immer gleich.
Mumm griff in die Tasche und betastete erneut die Dienstmarke.
Lampen waren dünn gesät, und in der Dunkelheit klopfte er an eine
Tür. Hinter einem der unteren Fenster brannte Licht; vermutlich war
Rasen noch wach.
Nach einer Weile öffnete sich eine kleine Klappe, und eine Stimme
sagte. »Oh… du bist’s.« Stille folgte, und dann verrieten kratzende
Geräusche, dass mehrere Riegel beiseite geschoben wurden.
Der Doktor öffnete die Tür, in der einen Hand eine sehr lange
Spritze. Sie weckte sofort Mumms Aufmerksamkeit. An ihrem Ende
bildete sich ein purpurner Tropfen und fiel zu Boden.
»Was hattest du damit vor?«, fragte Mumm. »Wolltest du mich
vielleicht zu Tode spritzen ?«
»Hiermit?« Rasen blickte auf das Instrument, als wäre ihm gar nicht
bewusst gewesen, dass er es in der Hand hielt. »Oh… ich habe nur ein
kleines Problem für jemanden gelöst. Patienten kommen zu jeder
Tages- und Nachtzeit.«
»Kann ich mir denken. Äh… Rosie meinte, du hättest ein Zimmer
frei«, sagte Mumm. »Ich kann Miete zahlen«, fügte er rasch hinzu.
»Inzwischen habe ich Arbeit gefunden. Fünf Dol ar im Monat? Ich
brauche das Zimmer nicht für lange.«
»Die Treppe hoch und dann links«, erwiderte Rasen und nickte. »Wir
reden morgen darüber.«
»Ich bin kein krimineller Verrückter«, sagte Mumm. Er fragte sich,
was ihn zu diesen Worten veranlasste, und dann fragte er sich, wen er
damit beruhigen wol te.
»Schon gut, du gewöhnst dich bald ein«, sagte Rasen. Ein leises
Wimmern drang aus dem Behandlungszimmer.
»Das Bett ist nicht gelüftet, aber ich schätze, das macht dir nichts
aus«, sagte er. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest…«
Das Bett war tatsächlich nicht gelüftet, und es machte Mumm nichts
aus. Später erinnerte er sich nicht einmal daran, dass er unter die Decke
geschlüpft war.
Einmal erwachte er in jäher Panik und hörte, wie der große, schwarze
Wagen durch die Straße rumpelte. Übergangslos wurde er Teil seines
Albtraums.
Um zehn Uhr morgens fand Mumm eine Tasse mit kaltem Tee neben
seinem Bett sowie ein Kleidungsbündel und einen Brustharnisch vor
der Tür im Flur. Er trank den Tee und prüfte die Sachen.
Er hatte Schnauzi richtig eingeschätzt. Der Mann überlebte, weil er
ein Wetterhahn war und immer darauf achtete, wohin der Wind wehte,
und derzeit wehte er zu Mumm. Er hatte sogar an Socken und
Unterhosen gedacht, obgleich das nicht zum Auftrag gehört hatte. Eine
aufmerksame Geste. Natürlich hatte
Weitere Kostenlose Bücher