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Die Nachtwächter

Die Nachtwächter

Titel: Die Nachtwächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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der ebenso verrückt war wie er, hatte versucht,
    ihn umzulegen, und es wäre ihm auch gelungen, wenn sich Winder
    nicht im falschen Augenblick bewegt hätte. Der Pfeil traf Seine
    Lordschaft in den Arm, und die Leute sagten – womit namenlose Leute
    gemeint waren, die sich abends in Tavernen treffen; die Wunde hätte
    seinen Geist weiter vergiftet und ihn noch schlimmer gemacht. Er
    begegnete al em und jedem mit Argwohn. Überal sah er Mörder und
    Attentäter. Gerüchten zufolge wachte er nachts schweißgebadet auf,
    weil sie ihn sogar im Traum bedrohten.
    Während er wach war, glaubte er, dass sich überal Verschwörer und
    Spione herumtrieben, und er wies seine Männer an, sie aufzustöbern.
    Und wenn man versucht, Verschwörer und Spione aufzustöbern, die
    sich überal herumtreiben, wimmelt es bald von ihnen, selbst wenn es
    zu Anfang keine Verschwörer und Spione gibt.
    Zum Glück hatte die Nachtwache kaum etwas mit dem eigentlichen
    Aufstöbern zu tun – sie verhaftete nur die Überbleibsel. Die speziel e
    Wache in der Ankertaugasse war die lange Hand des Verfolgungswahns
    Seiner Lordschaft. Die Sondergruppe, so hieß sie offiziell. Aber soweit
    sich Mumm zurückerinnern konnte, hatte sie den Spitznamen »die
    Unaussprechlichen« getragen. Sie waren diejenigen, die in jedem
    Schatten lauschten und durch jedes Fenster sahen. So schien es
    jedenfalls. Zweifellos waren sie diejenigen, die mitten in der Nacht an
    Türen klopften.
    Mumm blieb im Dunkeln stehen. Seine billige Kleidung war
    durchnässt, er hatte kalte Füße, Regen tropfte von seinem Kinn, und
    ein weiter, weiter Weg trennte ihn von zu Hause. Doch auf eine
    verräterische Art und Weise war dies sein Zuhause. Den größten Teil
    seiner Tage hatte er damit verbracht, nachts zu arbeiten. Sein Leben
    bestand praktisch daraus, durch die regennassen Straßen der
    schlafenden Stadt zu wandern.
    Das Wesen der Nacht veränderte sich, aber das Wesen des Tiers blieb
    immer gleich.
    Mumm griff in die Tasche und betastete erneut die Dienstmarke.
    Lampen waren dünn gesät, und in der Dunkelheit klopfte er an eine
    Tür. Hinter einem der unteren Fenster brannte Licht; vermutlich war
    Rasen noch wach.
    Nach einer Weile öffnete sich eine kleine Klappe, und eine Stimme
    sagte. »Oh… du bist’s.« Stille folgte, und dann verrieten kratzende
    Geräusche, dass mehrere Riegel beiseite geschoben wurden.
    Der Doktor öffnete die Tür, in der einen Hand eine sehr lange
    Spritze. Sie weckte sofort Mumms Aufmerksamkeit. An ihrem Ende
    bildete sich ein purpurner Tropfen und fiel zu Boden.
    »Was hattest du damit vor?«, fragte Mumm. »Wolltest du mich
    vielleicht zu Tode spritzen ?«
    »Hiermit?« Rasen blickte auf das Instrument, als wäre ihm gar nicht
    bewusst gewesen, dass er es in der Hand hielt. »Oh… ich habe nur ein
    kleines Problem für jemanden gelöst. Patienten kommen zu jeder
    Tages- und Nachtzeit.«
    »Kann ich mir denken. Äh… Rosie meinte, du hättest ein Zimmer
    frei«, sagte Mumm. »Ich kann Miete zahlen«, fügte er rasch hinzu.
    »Inzwischen habe ich Arbeit gefunden. Fünf Dol ar im Monat? Ich
    brauche das Zimmer nicht für lange.«
    »Die Treppe hoch und dann links«, erwiderte Rasen und nickte. »Wir
    reden morgen darüber.«
    »Ich bin kein krimineller Verrückter«, sagte Mumm. Er fragte sich,
    was ihn zu diesen Worten veranlasste, und dann fragte er sich, wen er
    damit beruhigen wol te.
    »Schon gut, du gewöhnst dich bald ein«, sagte Rasen. Ein leises
    Wimmern drang aus dem Behandlungszimmer.
    »Das Bett ist nicht gelüftet, aber ich schätze, das macht dir nichts
    aus«, sagte er. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest…«
    Das Bett war tatsächlich nicht gelüftet, und es machte Mumm nichts
    aus. Später erinnerte er sich nicht einmal daran, dass er unter die Decke
    geschlüpft war.
    Einmal erwachte er in jäher Panik und hörte, wie der große, schwarze
    Wagen durch die Straße rumpelte. Übergangslos wurde er Teil seines
    Albtraums.

    Um zehn Uhr morgens fand Mumm eine Tasse mit kaltem Tee neben
    seinem Bett sowie ein Kleidungsbündel und einen Brustharnisch vor
    der Tür im Flur. Er trank den Tee und prüfte die Sachen.
    Er hatte Schnauzi richtig eingeschätzt. Der Mann überlebte, weil er
    ein Wetterhahn war und immer darauf achtete, wohin der Wind wehte,
    und derzeit wehte er zu Mumm. Er hatte sogar an Socken und
    Unterhosen gedacht, obgleich das nicht zum Auftrag gehört hatte. Eine
    aufmerksame Geste. Natürlich hatte

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