Die Nachtwächter
Schnauzi sie nicht bezahlt, sondern
»besorgt«. Immerhin war dies die alte Nachtwache.
Aber zum Donnerwetter auch: Der kleine Kerl hatte noch etwas
anderes beschafft. Über den drei Streifen des Feldwebels sah er eine
kleine, goldene Krone. Normalerweise begegnete Mumm Kronen mit
instinktivem Abscheu, aber diese wusste er zu schätzen.
Als er nach unten ging und sich den Gürtel umschnal te, traf er Rasen,
der gerade aus dem Behandlungszimmer kam und sich die Hände an
einem Tuch abwischte. Der Doktor lächelte geistesabwesend und
bemerkte dann die Uniform. Sein Lächeln löste sich allmählich auf.
»Schockiert?«, fragte Mumm.
»Erstaunt«, sagte der Doktor. »Aber Rosie wird vermutlich nicht
überrascht sein. Ich habe nichts Illegales getan.«
»Dann brauchst du auch nichts zu befürchten.«
»Wirklich nicht? Das beweist, dass du nicht von hier bist«, sagte Rasen.
»Möchtest du Frühstück? Es sind noch Nieren übrig.« Diesmal
verblasste Mumms Lächeln. »Lammnieren«, fügte der Doktor hinzu.
In der kleinen Küche löste er den Deckel von einem großen Steinkrug
und holte eine Büchse hervor. Dampf entströmte ihr.
»Eis«, erklärte Rasen. »Ich bekomme es von der anderen Straßenseite.
Hält die Lebensmittel frisch.«
Mumm runzelte die Stirn. »Von der anderen Straßenseite? Meinst du
die Leichenhal e?«
»Keine Sorge, es ist noch nicht benutzt«, sagte Rasen und stellte eine
Pfanne auf den Herd. »Herr Garnier bringt jede Woche einige Brocken
vorbei, als Bezahlung für die Behandlung eines gewissen medizinischen
Problems.«
»Aber hauptsächlich arbeitest du für die Damen, äh, käuflicher
Zuneigung?«, fragte Mumm. Rasen bedachte ihn mit einem scharfen
Blick, um festzustel en, ob er sich einen Scherz erlaubte. Mumms
Gesichtsausdruck blieb unverändert.
»Nicht nur für sie«, sagte er. »Ich habe auch andere Patienten.«
»Leute, die durch die Hintertür kommen.« Mumm sah sich in dem
kleinen Zimmer um. »Leute, die sich aus dem einen oder anderen
Grund nicht an… besser bekannte Ärzte wenden wol en.«
»Oder nicht genug Geld haben«, sagte Rasen. »Leute, die ohne
Identität auftauchen. Worauf willst du hinaus… John !«
»Oh, reine Neugier, weiter nichts«, erwiderte Mumm und verfluchte
sich, weil er direkt hineingestolpert war. »Ich habe mich gefragt, wo du
ausgebildet worden bist.«
»Warum?«
»Ich schätze, Leute, die durch die Hintertür kommen, wol en
Resultate sehen.«
»Ha. Meine Ausbildung fand in Klatsch statt. Dort gibt es einige neue
Ideen in der Medizin. Zum Beispiel glaubt man dort, dass es dem
Patienten besser gehen sol te.« Er drehte die Nieren mit einer Gabel.
»Eigentlich habe ich große Ähnlichkeit mit dir, Feldwebel. Wir tun, was
getan werden muss, wir arbeiten in, äh, unbeliebten Bereichen, und
vermutlich ziehen wir beide irgendwo die Grenze. Ich bin kein
Fleischer. Und Rosie meint, dass du ebenfal s keiner bist. Aber man
muss sich der Aufgabe stellen, die man vor sich sieht; andernfal s
sterben Personen.«
»Das werde ich mir merken«, sagte Mumm.
»Und wenn man sich’s genau überlegt…«, sagte Rasen. »Es gibt
Schlimmeres auf der Welt, als Frauen den Puls zu fühlen.« Nach dem
Frühstück trat Oberfeldwebel John Keel in den ersten Tag vom Rest
seines Lebens.
Einige Sekunden blieb er stehen, schloss die Augen und drehte die
Füße, wie jemand, der versuchte, zwei Zigarettenstummel gleichzeitig
auszutreten. Langsam breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus.
Schnauzi hatte genau die richtigen Stiefel gefunden. Wil ikins und Sybil
hatten sich heutzutage verschworen… sie würden sich verschwören, ihn daran zu hindern, gute abgenutzte Stiefel zu tragen. Sie ließen sie nachts
verschwinden und die Sohlen ersetzen. Es war herrlich, die Straße
wieder mit trockenen Füßen zu fühlen. Ein Leben lang hatte er sie
beschritten und fühlte sie tatsächlich. Das Pflaster bestand aus
unterschiedlichen Steinen: Katzenköpfe, Trollköpfe, Faulenzer, kurze
und lange Lieger, Rundler, Morpork-Sechser, außerdem
siebenundachtzig Arten Pflasterziegel, vierzehn Arten Steinplatten und
zwölf Arten von Steinen, die eigentlich nie für das Pflaster bestimmt
gewesen waren. Hinzu kamen Schotter, Kies, Ausbesserungen, dreizehn
Arten von Kel erabdeckungen, zwanzig Arten von Gul ydeckeln…
Mumm sprang ein wenig, als wol te er die Festigkeit des Untergrunds
prüfen. »Ulmenstraße«, sagte er und sprang erneut. »Ecke
Weitere Kostenlose Bücher