Die Nachtwächter
dass Coates ihn ansah.
»Auf welcher Seite stehst du, Ned?«, fragte er.
»Warum hast du den Jungen ins Reich der Träume geschickt?«, erkundigte sich Ned.
»Damit er nicht mehr an dieser Sache beteiligt ist. Was dagegen?«
»Nicht viel, Oberfeldwebel.« Ned lächelte. »Heute haben wir alle eine Menge gelernt.«
»Ja«, bestätigte Mumm.
»Zum Beispiel weiß ich jetzt, dass es noch größere Mistkerle als dich gibt.«
Diesmal lächelte Mumm. »Aber ich gebe mir mehr Mühe, Ned.«
»Kennst du Carcer?«
»Er ist ein Mörder. Und auch alles andere. Ein eiskalter Killer. Und schlau.«
»Und es muss zu Ende gebracht werden?«
»Ja. Wir müssen einen Schlussstrich ziehen, Ned. Dies ist unsere einzige Chance. Entweder hört es hier auf, oder es geht immer weiter. Kannst du dir vorstellen, wenn er als Schnappübers Spezi machen kann, was er will?«
»Ja, das kann ich«, erwiderte Ned. »Zum Glück hatte ich heute Abend nichts vor. Sag mir nur eins, Oberfeldwebel: Woher weißt du das alles?«
Mumm zögerte. Aber es spielte eigentlich keine Rolle mehr.
»Ich komme aus dieser Stadt«, sagte er. »Bin durch ein Loch in der Zeit gefallen, etwas in der Art. Wenn du’s genau wissen willst: Ich bin durch die Zeit hierher gereist, Ned, und das ist die Wahrheit.«
Ned Coates musterte ihn von Kopf bis Fuß. Blut klebte an Mumms Brustharnisch, an den Händen und an seinem Gesicht. Und er hielt ein blutiges Schwert in der Hand.
»Du kommst aus fernster Vergangenheit, nicht wahr?«
Die Zeit hielt an. Coates erstarrte, und seine Farben verblassten in einer Welt, die nur noch aus Grautönen bestand.
»Es ist fast so weit, Euer Gnaden«, sagte Kehrer hinter Mumm.
»Bei den Göttern!«, entfuhr es Mumm. Er warf das Schwert zu Boden. »Du machst dir hier
keine
Freunde, weißt du das?«
Das Schwert fiel nicht aufs Pflaster. Es blieb einige Zentimeter von Mumms Hand entfernt in der Luft und wurde grau.
»Es gibt noch etwas, das du wissen solltest«, sagte Kehrer, als verdienten in der Luft schwebende Schwerter kaum Aufmerksamkeit.
»Was ist mit dem verdammten Schwert passiert?«, fragte Mumm, der durchaus geneigt war, solchen Dingen Beachtung zu schenken.
»Die Zeit hat für alle angehalten, nur für dich nicht«, erklärte Kehrer geduldig. »Eigentlich stimmt das so nicht, aber es ist eine nützliche Lüge. Wir brauchen nur einige Momente, um dafür zu sorgen, dass alles seine Richtigkeit hat…«
Mumm hatte nun Zeit – in gewisser Weise –, sich umzusehen. Die Straße war dunkler, als hätte der Kampf in der Düsternis vor der Morgendämmerung stattgefunden. Farbig waren nur die Umhänge und Gesichter von Kehrer und Qu, als sie einen Handkarren aus einer Gasse zogen. Darauf ruhten zwei kleine steinerne Säulen und John Keels Leiche, in ein Tuch gehüllt.
»Wir haben gute Nachrichten«, sagte Kehrer.
»Tatsächlich?«, erwiderte Mumm schwach und trat an die Leiche heran.
»Ja«, sagte Qu und entlud die steinernen Zylinder. »Wir glaubten zunächst, dass wir dich dazu überreden müssten, deine Rüstung abzulegen, aber das scheint nicht nötig zu sein.«
»Weil sie hier bleiben wird«, sagte Lu-Tze. »Sie gehört hierher, verstehst du?«
»Nein«, erwiderte Mumm. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon ihr redet.« Er berührte die Leiche. »So kalt«, murmelte er. »Daran erinnere ich mich. Er war so kalt.«
»Eine Leichenhalle bewirkt das«, sagte Kehrer beiläufig.
»Bitte pass jetzt auf, Kommandeur!«, sagte Qu. »Wenn wir diese…«
Mumm hob den Blick, und in seinen Augen funkelte es gefährlich. Kehrer legte Qu die Hand auf den Arm.
»Wir haben noch einiges zu erledigen, für ein oder zwei Minuten«, meinte er.
»Ja, aber es ist sehr wichtig, dass er weiß, wie…«
»Wir haben noch einige
Dinge
zu
erledigen,
für
ein oder zwei Minuten«,
wiederholte Kehrer und schnitt dabei eine Grimasse.
»Oh? Was? Oh. Ja. Äh… Wir haben… einige Dinge, äh… zu erledigen. Dinge… ja…«
Sie gingen fort. Aus dem Augenwinkel sah Mumm, wie sie auf und ab schritten, als müssten sie etwas ausmessen.
Er blickte auf John Keel hinab. Was sollte er sagen? Tut mir Leid, dass du tot bist? Der ursprüngliche Keel war auf den Barrikaden gestorben, nicht bei einem Straßenkampf. Aber er war genauso tot.
Mit Religion wusste Mumm nicht viel anzufangen. Er war zugegen, wenn ein Wächter bestattet wurde, und er nahm an religiösen Zeremonien teil, wenn die Pflichten des Kommandeurs der Wache dies erforderten,
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