Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nachtwächter

Die Nachtwächter

Titel: Die Nachtwächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
nehmend.
    »Nein, es ist noch nicht so weit«, sagte Mumm und öffnete die Tür seines Büros. »Morgen, Karotte!«
    Hauptmann Karotte sprang auf und salutierte. »Guten Morgen, Herr! Hat Lady…«
    »Nein, Karotte, sie hat noch nicht. Was gab’s während der Nacht?«
    Karottes Blick glitt zu der Fliederblüte und kehrte dann zu Mumms Gesicht zurück. »Nichts Gutes, Herr«, sagte er. »Ein weiterer Wächter wurde umgebracht.«
    Mumm blieb abrupt stehen. »Wer?«, fragte er.
    »Feldwebel Starkimarm, Herr. Es hatte ihn auf der Sirupminenstraße erwischt. Wieder Carcer.«
    Mumm sah auf die Uhr. Es blieben noch zehn Minuten, um den Palast zu erreichen. Doch plötzlich spielte die Zeit keine Rolle mehr.
    Er nahm am Schreibtisch Platz. »Zeugen?«
    »Diesmal gleich drei, Herr.«
    »So viele?«
    »Alles Zwerge. Starkimarm war nicht einmal im Dienst, Herr.
    Er hatte seine Schicht beendet, holte sich eine Rattenpastete aus einem Laden, trat auf die Straße und stieß gegen Carcer. Der Mistkerl stach ihm in den Hals und lief davon. Dachte vermutlich, wir hätten ihn gefunden.«
    »Wir suchen den Mann seit
Wochen
! Und er lief dem armen Starkimarm über den Weg, als der Zwerg nur an sein Frühstück dachte? Ist ihm Angua auf der Spur?«
    »Sie konnte ihm nur bis zu einer gewissen Stelle folgen, Herr«, sagte Karotte verlegen.
    »Warum nur bis zu einer gewissen Stelle?«
    »Er – nun, wir nehmen an, dass es Carcer war – ließ auf dem Hiergibt’salles-Platz eine Anisbombe fallen. Fast reines Öl.«
    Mumm seufzte. Es war erstaunlich, wie sich die Leute anpassten. In der Wache gab es einen Werwolf. Das sprach sich herum, im Verborgenen. Und so entwickelten sich die Verbrecher weiter, um in einer Gesellschaft zu überleben, in der das Gesetz eine empfindliche Nase hatte. Geruchsbomben waren eine undramatische Lösung des Problems. Man ließ einfach ein Fläschchen mit reinem Pfefferminz- oder Anisöl dort auf die Straße fallen, wo viele Personen darüber hinweggingen, und plötzlich bekam es Feldwebel Angua mit hundert oder sogar
tausend
hin und her führenden Spuren zu tun, und abends lag sie dann mit Kopfschmerzen im Bett.
    Mumm hörte verdrossen zu, als Karotte von Männern berichtete, die aus dem Urlaub zurückgerufen oder für zusätzlichen Dienst eingeteilt worden waren. Er erfuhr von befragten Informanten, gestohlenen Tauben, von offen gehaltenen Ohren, aufgewirbeltem Staub und Gras, dem man beim Wachsen zugehört hatte. Und er wusste, wie wenig das alles brachte. Die Wache bestand noch immer aus weniger als hundert Mann, die Kantinenfrau mitgezählt. Ankh-Morpork hatte eine Million Bewohner und eine Milliarde Verstecke. Die Stadt war praktisch auf Unterschlupfen
errichtet
worden. Und Carcer kam einem Albtraum gleich.
    Mumm kannte diese Art von Wahnsinn, bei dem sich jemand ganz normal verhielt, bis er plötzlich ausrastete und jemand anderen mit einem Schürhaken erschlug, nur weil sich dieser zu laut die Nase geputzt hatte. Aber bei Carcer lag der Fall anders. In seinem Kopf steckte ein doppeltes Selbst, doch zwischen den beiden Persönlichkeiten gab es keinen Konflikt, sondern einen Wettstreit. Bei Carcer saß auf
beiden
Schultern ein Dämon, und sie feuerten sich gegenseitig an.
    Und doch… Er lächelte die ganze Zeit über, auf eine muntere Weise, und er verhielt sich wie ein Gauner, der seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Golduhren verdiente, die nach einer Woche grün anliefen. Und er schien immer völlig davon überzeugt zu sein, dass er nichts Unrechtes getan hatte. Er stand dort neben den Leichen, mit Blut an den Händen und gestohlenem Schmuck in den Taschen, und mit einem Gesichtsausdruck verletzter Unschuld fragte er: »Ich? Was soll
ich
getan haben?«
    Und er wirkte völlig glaubwürdig, bis man tief in die frechen, lächelnden Augen sah und ganz unten dem Blick der Dämonen begegnete…
    Aber man durfte sich nicht zu viel Zeit dafür nehmen, ihm in die Augen zu sehen, denn es bedeutete, dass man nicht mehr auf seine Hände achtete, von denen eine inzwischen ein Messer hielt.
    Durchschnittliche Wächter kamen mit solchen Leuten kaum zurecht. Sie erwarteten von einem Verbrecher, der sich einer Übermacht gegenübersah, dass er aufgab, einen Handel versuchte oder wenigstens
stehen blieb.
Sie rechneten nicht damit, dass jemand für eine Uhr tötete, die nur fünf Dollar wert war. (Bei einer Uhr im Wert von hundert Dollar sah die Sache anders aus. Immerhin war dies Ankh-Morpork.)
    »War Starkimarm

Weitere Kostenlose Bücher