Die Nachtwächter
rieb sich die Hände. »Wer kommt jetzt an die Reihe, Feldwebel Klopf?« Und die Kugel rollt und rollt, und alle fragen sich, wo sie liegen bleiben wird…
»Eigentlich teile ich die Meinung des Hauptmanns und glaube nicht, dass jemand von uns…«, begann Klopf, aber er brachte den Satz nicht zu Ende. Mumms Blick hätte Nieten festhämmern können.
»Wir haben mit dieser Sache begonnen und sollten sie daher auch zu Ende bringen, Feldwebel«, sagte Tilden. »Das ist nur gerecht.«
Mumm trat auf Coates zu und streckte die Hand aus. »Die Schlüssel«, sagte er.
Coates starrte ihn an.
»Die Schlüssel, Obergefreiter«, sagte Mumm.
Er nahm sie Coates aus der Hand und wandte sich den Spinden zu.
»Na schön«, brummte er. »Beginnen wir beim gut bekannten Erzspitzbuben Mumm…«
Eine Tür nach der anderen wurde geöffnet. Die Spinde mochten faszinierend sein für jemanden, der Interesse am Geruch ungewaschener Wäsche hatte und an dem, was auf vernachlässigten Socken wachsen konnte, aber sie gaben nicht ein einziges silbernes Tintenfass preis.
Dafür barg Korporal Colons Spind ein Buch mit dem Titel
Die
erotischen Abenteuer von Molly Oberweite.
Mumm betrachtete die einfachen und fleckigen Darstellungen wie alte Freunde, die er lange nicht mehr gesehen hatte. Er
erinnerte
sich an das Buch. Über Jahre hinweg war es im Wachhaus herumgereicht worden, und der junge Mumm hatte viel von den Illustrationen gelernt, obwohl sich später ein großer Teil davon als falsch erwies.
Zum Glück war Hauptmann Tilden die Sicht versperrt. Mumm legte das schmuddelige Buch in den Spind zurück und sagte zu Colon, dessen Ohren rot glühten: »Befasst dich mit der Theorie, was, Fred? Ausgezeichnet. Übung macht den Meister.«
Als letzter Spind kam der von Coates an die Reihe. Ned beobachtete ihn wie ein Falke.
Die zerkratzte Tür schwang auf. Alle Hälse reckten sich. Der Schrank enthielt einen Stapel alter Notizbücher, zivile Kleidung und einen kleinen Sack mit schmutziger Wäsche.
»Überrascht?«, fragte der Obergefreite.
Nicht annähernd so wie du, dachte Mumm.
Er zwinkerte Coates zu und wandte sich ab. »Kann ich dich in deinem Büro sprechen, Hauptmann?«
»Ja, natürlich, Oberfeldwebel«, sagte Tilden und sah sich um. »Meine Güte…«
Mumm gab ihm Zeit, die Treppe emporzusteigen, folgte ihm dann ins Büro und schloss taktvoll die Tür.
»Nun, Oberfeldwebel?«, fragte Tilden und sank auf seinen Stuhl.
»Hast du
überall
nachsehen lassen, Herr?«, fragte Mumm.
»Natürlich, Mann!«
»Ich meine, Herr, vielleicht hast du das Tintenfass in die Schublade gestellt? Oder in den Safe?«
»Bestimmt nicht! Manchmal stelle ich es in den Safe, übers Wochenende, aber ich bin… sicher, dass ich das gestern Abend nicht getan habe.«
Mumm nahm die subtile Ungewissheit zur Kenntnis. Er wusste, dass dies auf eine kleine Gemeinheit hinauslief, denn Tilden war fast siebzig. In einem solchen Alter lernte man, das Gedächtnis nur noch als grobe Richtschnur zu benutzen.
»In der letzten Zeit haben wir alle sehr unter Druck gestanden«, fügte Mumm hinzu. Er wusste, dass Tilden nachmittags oft einschlief – Schnauzi hustete sehr laut vor seiner Tür, bevor er hineinging und ihm den Kakao brachte.
»Das stimmt«, sagte Tilden und richtete einen verzweifelten Blick auf Mumm. »Die Sache mit der Ausgangssperre. Sehr… beunruhigend. Ich würde meinen eigenen Kopf vergessen, wenn er nicht festgenagelt wäre.«
Er drehte sich um und sah zu dem grünen Safe.
»Ich hatte es erst seit zwei Monaten«, murmelte er. »Ich
glaube,
ich… Würdest du bitte wegsehen, Oberfeldwebel? Gehen wir dieser Sache auf den Grund…«
Mumm drehte sich um. Es klickte und knarrte, jemand schnappte nach Luft.
Tilden richtete sich auf und hielt das silberne Tintenfass in der Hand. »Ich glaube, ich habe mich selbst zum Narren gemacht, Oberfeldwebel«, sagte er.
Nein, ich habe einen Narren aus dir gemacht, dachte Mumm und bedauerte es sehr. Ich wollte das Tintenfass erst in Coates’ Spind legen, aber das brachte ich nicht fertig… nicht nach dem, was ich dort gefunden habe.
»Was hältst du davon, wenn wir sagen, es sei eine Art Test gewesen, Herr?«, schlug Mumm vor.
»Ich lüge aus Prinzip nicht, Keel!«, erwiderte der Hauptmann und fügte hinzu: »Aber ich danke dir für deinen Vorschlag. Ich
weiß,
dass ich nicht mehr so jung bin wie früher. Vielleicht wird es Zeit, dass ich mich in den Ruhestand zurückziehe.« Er seufzte. »Um ehrlich zu sein:
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