Die Nachtwächter
wenig Diplomatie, einige Kompromisse, ein Versprechen hier, eine Vereinbarung dort. So laufen echte Revolutionen. Der Kram in den Straßen ist nur Schaum…« Mumm nickte in Richtung der Doppeltür. »Gäste zum späten Abendessen? Das war Doktor Folletts Stimme. Ein kluger Mann, so hieß es – so heißt es von ihm. Er wird sich für die richtige Seite entscheiden. Wenn du die Unterstützung der großen Gilden hast, ist Winder bereits so gut wie tot. Aber Schnappüber nützt euch kaum was.«
»Viele Leute setzen große Hoffnungen in ihn.«
»Was glaubst du?«
»Ich halte ihn für einen intriganten, selbstsüchtigen Narren. Aber derzeit gibt es keinen besseren Mann. Und wo kommst du ins Spiel, Oberfeldwebel?«
»Ich? Ich halte mich raus. Du hast nichts, das für mich von Interesse wäre.«
»Du willst
nichts
?«
»Oh, ich wünsche mir viele Dinge, Teuerste. Aber du kannst sie mir nicht geben.«
»Wie wäre es, wieder das Kommando zu führen?«
Die Frage traf ihn wie ein Hammer. Dies war
Geschichte.
Die Frau konnte unmöglich Bescheid wissen.
»Ah«, sagte Madame, die Mumms Gesichtsausdruck beobachtet hatte. »Rosemarie meinte, Diebe hätten dir eine
sehr
teure Rüstung abgenommen. Einem General angemessen, wie ich hörte.«
Sie hielt den Blick auf Mumm gerichtet, als sie eine zweite Flasche öffnete. Und zwar auf korrekte Weise, wie Mumm trotz des Schocks feststellte. Nicht das dilettantische Theater mit fliegenden Korken und vergeudeten Bläschen.
»Wäre das nicht seltsam, wenn es der Wahrheit entspräche?«, überlegte Madame. »Ein Straßenkämpfer mit dem Gebaren eines Kommandeurs und dem Brustharnisch eines Anführers.«
Mumm blickte starr geradeaus.
»Und wer muss wissen, wie er hierher gekommen ist?«, fragte Madame die leere Luft. »Wir könnten der Ansicht sein, dass du dich dafür eignest, das Kommando über die Stadtwache zu führen.«
Der erste Gedanke, der wie Sekt in Mumms Kopf sprudelte, lautete: Meine Güte, ich könnte es schaffen! Ich könnte Schwung rausschmeißen, einige anständige Feldwebel befördern…
Der zweite Gedanke war: In dieser Stadt? Unter Schnappüber? Jetzt? Wir wären nur eine weitere Bande. Der dritte Gedanke war: Dies ist verrückt. Es kann nicht geschehen. Es
ist
nie geschehen. Du möchtest nach Hause, zu Sybil zurück.
Die ersten beiden Gedanken schlurften beiseite, schämten sich und murmelten:
Ja, natürlich
…
Sybil
…
völlig klar
…
in Ordnung
…
Tschuldigung
…
Ihre Stimmen wurden leiser und verklangen schließlich ganz.
»Ich hatte immer das Talent, Vielversprechendes zu erkennen«, sagte Madame, während Mumm noch ins Leere starrte.
Der vierte Gedanke stieg durch die Dunkelheit auf wie ein grässliches Ungeheuer aus der Tiefe.
Du hast erst beim dritten Gedanken an Sybil gedacht,
flüsterte er. Mumm blinzelte.
»Du weißt, was die Stadt braucht…«, begann Madame.
»Ich möchte nach Hause«, sagte Mumm. »Ich erledige die Aufgabe, die vor mir steht, und dann kehre ich heim. Etwas anderes kommt für mich nicht in Frage.«
»Es gibt Leute, die sagen würden: Wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns«, gab Madame zu bedenken.
»Für dich? Für was? Für
irgendetwas
? Nein! Aber ich bin auch nicht für Winder. Ich soll nicht ›für‹ jemanden sein. Und ich lasse mich nicht bestechen. Auch dann nicht, wenn Sandra mich mit einem Giftpilz bedroht.«
»Ich glaube, es war ein Pilz aus Holz.« Die Frau sah ihn an und lächelte. »Du bist unbestechlich?«
Lieber Himmel, es geht wieder los, dachte Mumm. Warum habe ich gewartet, bis ich verheiratet war, bevor ich für einflussreiche Frauen sonderbar attraktiv wurde? Warum ist das nicht passiert, als ich sechzehn war? Damals hätte ich so etwas gebrauchen können.
Er versuchte, durchdringend zu blicken, machte es dadurch aber wahrscheinlich noch schlimmer.
»Ich bin einigen unbestechlichen Männern begegnet«, sagte Madame Meserole. »Sie neigen dazu, einen
schrecklichen
Tod zu sterben. Weißt du, die Welt gleicht sich aus. Ein korrupter Mann in einer guten Welt oder ein guter Mann in einer korrupten Welt – am Resultat der Gleichung ändert sich nichts. Wer sich nicht für eine Seite entscheidet, wird von der Welt schlecht behandelt.«
»Mir gefällt die Mitte«, sagte Mumm.
»So bekommst du
zwei
Feinde. Es erstaunt mich, dass du dir so viele leisten kannst, nur mit dem Sold eines Oberfeldwebels. Bedenke, auf was du verzichtest.«
»Oh, ich denke daran. Und ich werde den Leuten nicht beim
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