Die Nachtwächter
Ned. Ein echter Witzbold, hat noch einmal versucht, dem Oberfeldwebel eins zu verpassen. Und wir wollen ihnen doch nicht den Spaß verderben. Ich lasse dich jetzt los, aber ein weiterer Angriff und du brauchst beide Hände, um einen Löffel zu heben, und du brauchst einen Löffel, Ned, weil du keine verdammten Zähne mehr hast und dich von Suppe ernähren musst!« Mumm lockerte seinen Griff. »Von wem hast du das alles gelernt?«
»Von Feldwebel Keel«, erwiderte Ned.
»Gute Arbeit, Oberfeldwebel Keel!«
Mumm drehte sich um und sah Hauptmann Schwung über den Hof kommen.
Im Tageslicht schien er kleiner und dünner zu sein, sah aus wie ein Sekretär, der nicht richtig auf sein Erscheinungsbild achtete. Sein Haar war glatt, und einige dicke schwarze Strähnen klebten auf der kahlen Stelle ganz oben am Kopf – sie deuteten an, dass der Mann entweder keinen Spiegel oder nicht den geringsten Sinn für Humor hatte.
Er trug eine altmodische, aber gut erhaltene Jacke. Seine Schnallenschuhe waren zerkratzt und abgenutzt – Mumms Mutter hätte sich dazu einen Kommentar nicht verkniffen. Ein Mann sollte sich um seine Stiefel kümmern, sagte sie immer. Man konnte jemanden nach dem Glanz seiner Schuhe beurteilen.
Schwung hatte auch einen Spazierstock beziehungsweise einen Opernstock. Vielleicht glaubte er, damit kultiviert zu wirken und nicht wie ein Mann, der ein überflüssiges Stück Holz mit sich herumtrug. Es schien sich um einen Stockdegen zu handeln, denn das Ding klapperte, wenn es das Pflaster berührte, so wie jetzt, als Schwung an den alten Zielscheiben und den Strohpuppen vorbeiging.
»Du hältst die Männer auf Zack, wie ich sehe«, sagte er. »Ausgezeichnet. Ist euer Hauptmann da?«
»Ich glaube nicht«, sagte Mumm und ließ Coates los. »Herr.«
»Ach? Nun, vielleicht kannst du ihm dies geben, Oberfeldwebel Keel.« Schwungs Lippen deuteten ein Lächeln an. »Es liegt eine erfolgreiche Nacht… hinter dir, soweit ich weiß.«
»Wir hatten einige Besucher«, erwiderte Mumm. »Herr.«
»Ah, ja. Falscher Eifer. Man sollte dichnicht… unterschätzen, Oberfeldwebel. Du bist ein einfallsreicher Mann. Die anderen Wachhäuser waren leider nicht so…«
»… einfallsreich?«
»Ja. Leider sind einige meiner eifrigeren Männer der Ansicht, dass du unsere nützlicheArbeit… behinderst. Ich hingegen binderAnsicht… dass du dich nur eisern ans Gesetz hältst. Leider hat das zu gewissen Spannungen… geführt, vor allem wegen deines mangelnden Verständnisses inHinsichtauf… gewisse Erfordernisse der Situation. Ich weiß, dass du im Grunde genommen ein Mann ganz nach meinem Herzen bist.«
Mumm dachte über die anatomische Auswahl nach.
»Das stimmt vermutlich, allgemein gesprochen, Herr«, sagte er. »Obwohl mein Ehrgeiz nicht ganz so weit reicht.«
»Gut. Ich freuemichauf… unsere zukünftige Zusammenarbeit, Oberfeldwebel. Der neue Hauptmann wird dichzweifellos… über andere Dinge in Kenntnis setzen, sobald er das für angebracht hält. Guten Tag.«
Schwung drehte sich um und wackelte zurück zum Tor. Seine Männer schickten sich an, ihm zu folgen. Einer von ihnen – einer seiner Arme steckte in einem Gipsverband – machte eine unschöne Geste, bevor er sich umdrehte.
»Morgen, Heini Hamster«, sagte Mumm.
Dann sah er auf den Brief hinab. Er war sehr dick und mit einem großen, gepressten Siegel versehen. Aber Mumm hatte zu viel Zeit in der Gesellschaft übler Leute verbracht und wusste genau, was man mit einem versiegelten Umschlag machte.
Er hatte auch gut zugehört. Neuer Hauptmann. Es begann also. Die Männer beobachteten ihn.
»Werden noch mehr, hnah, Soldaten herbeigerufen, Chef?«, fragte Schnauzi.
»Ich denke schon«, sagte Mumm.
»Hauptmann Tilden ist rausgeflogen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Er war ein
guter Hauptmann
!«, protestierte Schnauzi.
»Ja«, bestätigte Mumm. Nein, dachte er. Das war er nicht. Er war nur ein anständiger Mann, der sich alle Mühe gab. Und jetzt hat er mit dieser Sache nichts mehr zu tun.
»Was machen wir
jetzt,
Oberfeldwebel?«, fragte Gefreiter Mumm.
»Wir gehen auf Streife«, sagte Mumm. »In der Nähe. Nur die wenigen Straßen hier.«
»Was nützt das?«
»Es nützt mehr, als wenn wir überhaupt nicht auf Streife gingen. Hast du nicht den Eid abgelegt, als du Wächter wurdest?«
»Welchen Eid, Oberfeldwebel?«
Nein, das hatte er nicht, erinnerte sich Mumm. Viele von ihnen kannten den Eid überhaupt nicht. Man zog einfach die Uniform an und hängte
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