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Die Nachzüglerin (German Edition)

Die Nachzüglerin (German Edition)

Titel: Die Nachzüglerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Sondermann
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kühlen
Glas niedergeschlagen hatte und sagen: "Handys sind
sexy." Ich würde die mit Sprachlosigkeit kaschierte
Überlegenheit der anderen spüren. Wahrscheinlich
würden sie freundschaftlich, nachsichtig lächeln, um
mich zum Schweigen zu bringen.
Ich ging zurück und holte Alexejs Fahrrad aus dem
Schuppen. Später kam ich an einer weiteren Inschrift
vorbei: "Das Leben ist unbedingt schön, was wir
brauchen, ist eine Strategie des Glücks." Wie gerne
hätte ich mit dem Künstler oder der Künstlerin
gesprochen. Ich stellte mir den Sprüher schwarz
gekleidet vor, unbedingt mit Kapuze. Ich wollte mir
den Regen ins Gesicht schlagen lassen, an unzähligen
Reklameschriftzügen vorbeifahren und mich bemühen
wegzusehen. Ich wusste nicht, wie geil ich war.
Gewaltgeil oder sexgeil oder beides oder nur hungrig.
Unter dem Vordach des Geheimrat-Goethe-Hotels
stand ein Geschäftsmann. Es hätte auch ein Arbeiter
oder ein Bauer sein können, aber dann hätte er
ausnahmsweise einen Anzug an, hätte ausnahmsweise
einen schwarzen Lederkoffer neben sich stehen und
würde ausnahmsweise ein Telefongespräch mit einem
einer Fernbedienung ähnelndem schwarzen Stück
Plaste führen. Ich wollte dem Typen das Ding
wegreißen und fuhr ihn beinahe um und drehte eine
Runde um den Block. Als ich abermals den
Hoteleingang passierte, war der Mann weg, aber das
Telefon prangte auf dem Pflaster. Ich unterlag der sich
mir so aufdringlich bietenden Gelegenheit, krachte
aufs Trottoir, grapschte mir das Handy und drückte
die C-Taste. Die Schrift erlosch.
    Die Grünanlage war weitläufig und machte ihrem
Namensgeber Johann-Wolfgang-von alle Ehre. Heute
Nacht aber schienen die halbstarken, ordentlich
gekämmten Aussiedlerbuben und die unzählbare,
rotznasige, ungewaschene Spielplatzbrut bereits ins
Bett gegangen zu sein. Auch die Mofa-, Knutsch- und
Rauchecke war gähnend leer und ungewöhnlich ruhig.
Nur der Säuferclub der etwas betagteren Mitbürger
und Mitbürgerinnen, bei denen das tatsächliche Alter
kaum erkennbar war, und die Punkerriege hatten dem
Mistwetter standgehalten. Ich beobachtete einen Punk,
der sich mit seinem Hund abquälte.
"Sandy, komm her."
Das arme Tier krümmte sich und machte eine
katzenbuckelartige Verrenkung, die sein Herrchen
noch mehr verärgerte.
"Sandy, komm jetzt."
Sandy spreizte die Beine noch einen Zentimeter weiter.
Dem Jungen wurde es nun zu bunt:
"Sandy, du Wichser!"
Er war unangemessen laut. Ich fühlte mich
angesprochen und fing an zu überlegen, was ich mit
dem Telefon anfangen sollte. Ich schmiss es in den
Bach, dessen grünes Stinkewasser durch die Anlage
floss. Das Plätschern rief die Punkerhunde auf den
Plan. Sie formierten eine Rotte und schossen auf das
Bachplagiat zu. Wildes Schimpfen ihrer Besitzer und
Besitzerinnen konnte sie nicht davon abhalten, sich in
die Müllplörre zu stürzen. Sandy machte den
Hauptgewinn. Triumphierend bäumte sie sich auf und
hatte die Zähne in das Funktelefon geschlagen.
Hämisch machte ich mich davon. Ich gönnte dem
Hund das Erfolgserlebnis, der nicht das schönste
Leben zu haben schien. An einer Hauswand las ich:
"Kein Weltreich hält ewig." Die Vorstellung beruhigte
mich.
KAPITEL 9
    Die Riesenradmusik donnerte herüber zum Dom, wo
Spaziergänger schlenderten. Ich aber stand am anderen
Ufer zwischen Schießbuden und Schmorwurstständen.
Lieber eins sein mit dem Elbwasser, lieber Wäsche
aufhängen auf einem engen Binnenschiff, als sich auf
einem Rummelplatz verlaufen, als sich die Nase stoßen
an der Leere der Augenblicke. Ich suchte in meiner
Tasche nach Geld, fand aber nur einen zerknüllten
Kassenzettel. Ich warf ihn auf den Boden. Als ich an
der Geisterbahn vorüberkam, besah ich mir die
ausgestellten Figuren. Grün triefende Gespensternasen
mit
intervallgesteuerten
rot
aufleuchtenden
Glühlampenaugen. Die nach außen dringenden Schreie
ließen mein Mark unberührt. Hingegen fand ich die
anachronistischen Kartenabreißerinnen in ihren viel zu
engen Hosen viel interessanter. Eine Stierattrappe
diente als Rodeoapparat. Das Plüschfell war dreckig
und abgeschabt, ein kleines Mädchen hielt sich tapfer
darauf. Erbarmungslos warf sich der Plüschbollen hin
und her zur Belustigung der Zuschauer, aber das kleine
dürre Kind schien grausam entschlossen, darauf sitzen
zu bleiben. Während ich mich über die Brücke
stadteinwärts traute, schlugen mir der Regen und der
Amüsierwille der Leute entgegen. Ich beschloss, mit
Alexej eine russische Nacht zu veranstalten. Ich

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