Die Nachzüglerin (German Edition)
Halde oder im Salzstock, das
gesprengt werden musste, weil kein Presslufthammer
es kaputt machen konnte. Wie sollte ich die Nächte
überleben. Auf welche Wange mich legen, mich
wälzen? Mich zitternd streicheln und zu weinen
anfangen, weil das nicht seine Hand, sondern meine
war. Ich schleppte mich zum Spiegel und sah die
verquollenen Augen darin, die nicht mehr meine
waren, erbarmte mich über den verschmierten Mund,
begann die Zähne in das Glas zu schlagen, war
angenehm überrascht von seiner teilnahmslosen Kühle
und schrie endlich laut auf, weil ich die Liebe zu ihm
aus mir hinaus geboren glaubte. Aber das war nur der
Wahnsinn, der lieblich mit den Schmerzen spielte. Ich
begann mein Buch von Eichendorff im Regal zu
suchen. Bevor ich es fand, klingelte es an der
Wohnungstür.
Ich machte mir nicht die Mühe, die verlaufene
Schminke von meiner Wange zu wischen. Die
Vermieterin zuckte zurück, obwohl ich versuchte sie
anzulächeln. Als sie sich von ihrem Schreck erholt
hatte, schien sie durch meinen Anblick im Bewusstsein
der Rechtmäßigkeit ihres Vorhabens gestärkt worden
zu sein.
"Grüß Gott. Ich hätte gerne einmal mit Ihrer Frau
Fenner gesprochen."
Sie trug eine geblümte Hausschürze aus Polyester. Mit
den Händen hielt sie ihre Jacke über dem Bauch
zusammen. Sie gehörte zu den Menschen, die keinen
anderen Aggregatzustand als arbeitend kennen.
"Eva ist nicht zu Hause."
"Genau", sagte sie zufrieden. "Sie kommt bestimmt
sobald auch nicht nach Hause."
"Keine Ahnung, vielleicht kommt sie schon in einer
halben Stunde."
"Ach, das beobachten mein Mann und ich schon seit
Monaten. Die wohnt doch gar nicht mehr hier.
Deshalb muss ich auch Sie bitten, hier auszuziehen."
"Frau Fenner kann doch bei sich einziehen lassen, wen
sie will."
"Nur, wenn wir es genehmigen. Sie stehen nicht im
Vertrag."
"Ich wohne aber doch schon immer hier."
"Trotzdem, ich muss Sie bitten, die Wohnung zu
räumen."
Eva war Hauptmieterin. Sie hatte immer so getan, als
sei alles geregelt. Ohne einen Gruß schloss ich die Tür.
Ich wollte das Gesicht der Vermieterin nicht mehr
sehen und diese beleidigte Stimme abschalten. Durch
die Wohnung stapfend heulte ich weiter und rannte
gegen die Küchenwand. Endlich legte ich mich auf das
Bett und versuchte zu schlafen. Etwas Besseres als den
Tod fand ich überall. Wenn es einem hier nicht passte,
konnte man rübergehen.
Der Himmel über Magdeburg hatte eine verlockende
Weite, die man fast amerikanisch nennen konnte. Bis
zum Meer gab es kein Gebirge, der Seewind konnte
ungehindert hierher gelangen. Ich ging oft spazieren,
besah mir ein Land, das für mich Ausland war und es
nicht bleiben durfte. Ich dichtete ein Lied für Alexej
und sang es ihm vor. In seiner Einraumwohnung
tanzte ich herum und wippte im Rhythmus mit den
Hüften dazu. Das Lied hieß: "Kommunikation ist
gefährlich" von der "Gruppe Angst":
"Vermeide laute Gespräche in der Öffentlichkeit Yeah –
Vor allem im Bus und in der Straßenbahn – Wohoo Sprich keinen auf der Straße an - Jeeh - Keine Frau
und keinen Mann - Tschck - Sprich in keiner fremden
Sprache - Aha - Sprich und guck von unten nach oben
- Aha - Nicht allzu freundlich - Wohooo - Das
Wichtigste aber ist - Yeah - Schau keinem Hund in die
Augen …"
Alexej lächelte verzeihend und würgte sich ein leises
"Nicht schlecht" ab.
"Du kannst es wohl nicht haben, wenn ich kreativ
bin?"
"Du bist streitsüchtig."
"Ich habe ein Lied gedichtet, und das passt dir nicht."
"Doch, es ist gut."
"Wahrscheinlich ist es zu gut. Wenn es schlecht wäre,
könntest du es ruhigen Gewissens loben. Du
bräuchtest keine Angst haben, dass ich besser dichte
als du."
"Ich dichte doch gar nicht."
"Natürlich dichtest du nicht, aber wenn du wolltest,
könntest du es natürlich."
"Mein Pickel am Hintern hat mir eben ins Ohr
gedichtet, dass ich dich rausschmeißen soll."
Ich grinste ihn an. Negative Zuwendung war mir lieber
als gar keine.
"Ich gehe schon."
Ich öffnete die Wohnungstür und zog meine Schuhe
an. Seit wir hier waren, betraten wir unsere Zimmer
nur noch mit Strümpfen.
Alexej lief mir nach.
"Franka, ich muss ein Referat vorbereiten."
Seit Alexej hier war, war er ein richtiger Streber
geworden.
Am nächsten Tag stand Alexej am Bett, als ich
aufwachte. Er sah mich mit großen Augen an. "Stehst
du nicht auf?", fragte er. "Es ist schon zwölf Uhr."
"Alexej, heute bleibe ich in deinem Bett liegen."
"Willst du nichts essen?"
Er ging in die Küche und aß. Ich blieb liegen und
hörte, wie er das
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