Die nächste Begegnung
einen Satz der übriggebliebenen Biometriesonden implantiert und uns mehrere Wochen lang überprüft. Der Monitorprozess erinnerte mich an die Tage, während deren die Newton-Mission unterwegs war ... ist es wirklich nicht mehr als sechs Jahre her, seit unser Zwölferteam die Erde verließ — zu dem Rendezvous mit Rama?
Katie jedenfalls war fasziniert von den biometrischen Prozessen. Sie hockte dicht bei mir, während ich Simone oder Michael durchscannte, und stellte hunderterlei Fragen zu dem Zahlenmaterial auf dem Display. In kürzester Zeit hatte sie begriffen, wie das System funktionierte und worum es bei den speziellen gespeicherten Warnsignalen geht. Michael sagte nur, dass sie eben außergewöhnlich intelligent sei. Wie ihr Vater. (Katie vermisst Richard noch immer furchtbar.)
Michael redet zwar immer mal davon, er fühle sich uralt, aber für einen vierundsechzigjährigen Mann ist er in exzellenter körperlicher Verfassung. Er gibt sich gewaltige Mühe, für die Kinder körperlich aktiv zu sein, und seit Beginn meiner Schwangerschaft hat er zweimal pro Woche gejoggt. Zweimal wöchentlich — was für eine komische Vorstellung; wir halten getreulich am irdischen Kalender fest, obwohl er hier in Rama absolut bedeutungslos ist. Neulich abends fragte Simone, was Tage, Monate, Jahre meinten. Während er die Erdumdrehung, die Jahreszeiten, den Umlauf der Erde um die Sonne erklärte, kam mir plötzlich die Erinnerung an einen grandiosen Sonnenuntergang, den Genevieve und ich auf unsrem Trip in den Westen der USA erlebt hatten. Ich hätte Simone so gern davon erzählt. Aber wie beschreibt man jemandem einen Sonnenuntergang, der die Sonne noch nie gesehen hat?
Unser Kalender erinnert uns an das, was wir waren. Und wenn wir jemals auf einem neuen Planeten landen, wo es einen echten Tag- und Nachtwechsel gibt statt der künstlichen ramanischen Einteilung, werden wir höchstwahrscheinlich die irdische Zeitrechnung aufgeben. Doch vorläufig mahnen uns Festtage und der Wechsel der Monate — und natürlich ganz besonders die Geburtstage — an unsere Wurzeln auf diesem wunderbaren Planeten, den wir inzwischen nicht mal mehr mit dem besten ramanischen Teleskop ausfindig machen können.
Benjy hat jetzt Hunger. Seine Mentalkapazität ist vielleicht nicht hochgradig, aber es macht ihm keinerlei Schwierigkeiten, mir zu verstehen zu geben, wenn er hungrig ist. In gegenseitiger Übereinkunft haben Michael und ich Simone und Katie noch nichts über die Behinderung ihres Bruders gesagt. Dass er unsre Aufmerksamkeit von ihnen ablenken und auf sich ziehen will, solange er noch klein ist, wird ihnen sowieso noch schwer zu schaffen machen. Dass er aber auch später, wenn er laufen kann und ein kleiner Junge ist, weiterhin unsre Fürsorge braucht und vielleicht in verstärktem Maß, das können wir ihnen jetzt in ihrem jungen Leben einfach verstandesmäßig noch nicht zumuten.
13-03-2207
Heute ist Katie vier Jahre geworden. Als ich vor zwei Wochen fragte, was sie sich denn zum Geburtstag wünsche, zögerte sie keine Sekunde: »Ich will, dass mein Daddy wiederkommt!«
Katie ist ein verschlossenes und kontaktarmes kleines Mädchen. Sie lernt unglaublich schnell, aber sie ist zugleich auch das launenhafteste von meinen Kindern. Auch Richard war extrem sprunghaft. Manchmal war er dermaßen übersprudelnd und außer sich, dass er die Beherrschung verlor, gewöhnlich wenn er gerade etwas Aufregendes zum ersten Mal erlebt hatte. Und die Depressionen bei ihm waren dann auch gewaltig und bestürzend. Es gab da manchmal eine ganze Woche, in der er nicht lachte, ja, nicht einmal lächeln wollte.
Katie hat seine mathematische Begabung geerbt. Sie beherrscht bereits die Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division — zumindest mit kleinen Zahlen. Simone, die nun wirklich auch keine lahme Ente ist, scheint eine besser ausgewogene Begabung zu haben. Außerdem interessiert sie sich allgemein für ein weiteres Sachspektrum. Aber in Mathe sitzt Katie ihr eindeutig heftig auf den Fersen.
In den zwei Jahren, seit Richard verschwand, habe ich — erfolglos — versucht, seinen Platz in ihrem Herzen einzunehmen. Die Wahrheit ist ganz brutal: Katie und ich sind auf Kollisionskurs. Unsre Persönlichkeitsstrukturen sind für eine Mutter-Tochter-Beziehung unverträglich. Dieser Individualismus, diese sprunghafte Wildheit, die ich an Richard liebte ... bei Katie empfinde ich sie als bedrohlich. Sosehr ich mich auch bemühe, wir zwei rasen immer
Weitere Kostenlose Bücher