Die nächste Begegnung
den großen runden Raum.
Das >Somnarium< war eigentlich nichts weiter als ein Anbau der Zentralklinik, die zirka zweihundert Meter vom Zentralbahnhof entfernt lag. Nicole stieg aus dem Zug, ging an der Bibliothek vorbei und betrat das Hospital, durchquerte es und erreichte durch einen langen Tunnelgang das Somnarium. Hier lagen im ersten Stock in einem kreisrunden Raum Nicoles Angehörige und schliefen. Sie lagen einzeln in Kojen an der Wand, langen, sargähnlichen Behältnissen, die hermetisch gegen die Außenwelt versiegelt waren. Nur durch ein kleines Fenster in Kopfhöhe konnte man ihre Gesichter sehen. Wie der Adler ihr beigebracht hatte, prüfte Nicole die Monitore mit den Angaben über die physiologischen Werte ihres Mannes, ihrer beiden Töchter und der zwei Söhne. Alle waren in gutem Zustand. Kein Anzeichen einer Unregelmäßigkeit.
Nicole stand still da und schaute nacheinander die Gesichter ihrer Lieben an. Sie fühlte sich sehnsüchtig und allein. Aber dies sollte ihre letzte Inspektion sein. Da die k ri tischen Parameter stabil innerhalb der Toleranzgrenze lagen, sollte Nicole nunmehr plangemäß ebenfalls >schlafen gehen<. Und es konnte viele Jahre dauern, bevor sie einen aus der Familie wiedersehen würde.
Mein lieber süßer Benjy! Nicole seufzte, als sie in das Gesichtchen ihres behinderten Sohnes schaute. Für dich wird dieserEinbruch in dein Leben von uns allen am schwersten sein. Katie, Patrick und Ellie werden rasch aufholen. Ihr Denken funktioniert rasch und aktiv. Aber dir werden die fahre der Entwicklung fehlen, in denen du unabhängig hättest werden können.
Die Container ragten auf Halterungen wie aus Schmiedeeisen aus der Rundwand. Die Entfernung vom Kopfende einer Koje zum Fußende der nächsten betrug nur anderthalb Meter. Nicoles Koje lag leer in der Mitte — Richard und dann Katie waren hinter ihrem Kopfende; Patrick, Benjy und Ellie waren fußwärts.
Sie blieb mehrere Minuten lang an Richards Container stehen. Er war — vor zwei Tagen — als Letzter schlafen gegangen. Und wie er es gewünscht hatte, lagen Prince Hai und Falstaff auf seiner Brust. »Diese letzten drei Tage, Liebster, waren wundervoll«, sagte Nicole zu sich selbst, während sie in das ausdruckslose Gesicht Richards hinter dem Fensterchen starrte. »Ich hätte es mir nie besser wünschen können.«
Sie waren schwimmen im Lake Shakespeare, waren sogar Wasserski gelaufen, hatten Mount Olympus bestiegen und hatten sich geliebt, wann immer einem von beiden auch nur anflugweise danach zumute war. Eine ganze Nacht lang hatten sie fest umschlungen in dem großen Bett in ihrem neuen Heim gelegen. Einmal täglich hatten sie nach ihren bereits schlafenden Kindern gesehen, doch überwiegend hatten sie die ihnen gebliebene Zeit für eine gründliche Erforschung ihres neuen Lebenskreises genutzt.
Es war aufregend gewesen, auch voller Gefühle. Richards letzte Worte, bevor Nicole das System einschaltete, das ihn in Schlaf versetzen würde, waren: »Du bist ein ganz grandioses Weib, und ich liebe dich sehr!«
Aber jetzt war sie selbst an der Reihe. Sie durfte nicht länger zögern. Sie kletterte in ihren Container (wie sie das vielmals während der ersten Woche in New Eden geübt hatte) und drückte alle Schaltungen, bis auf eine. Der Schaum um ihren Leib war unglaublich angenehm. Dann schloss sich der Kojendeckel über ihrem Kopf. Sie brauchte nur noch den letzten Knopf zu drücken, und das Schlafgas würde einströmen.
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Und während sie da so auf dem Rücken lag, fiel ihr plötzlich der Traum von Dornröschen wieder ein, den sie während eines ihrer Abschlusstests im Nodus geträumt hatte. Und sie wanderte zurück in ihre Kindheit, zu jenen wundervollen Wochenenden mit ihrem Vater und den Dornröschen-Festspielen auf Chateau d'Usse.
Was für eine angenehme Art zu gehen, dachte sie mit wachsender Benommenheit, als das Gas einströmte. Sich vorzustellen, dass irgendein Märchenprinz kommt und dich wach küsst .. .
Treffpunkt Mars
1
»Missis Wakefield!« Die Stimme schien von weit her zu kommen. Sie drang behutsam in ihr Bewusstsein, holte sie jedoch nicht völlig aus dem Schlaf. »Missis Wakefield!«
Diesmal war die Stimme lauter. Nicole bemühte sich, sich klar zu werden, wo sie sich befand, ehe sie die Augen öffnete. Sie verlagerte ihr Körpergewicht, und der Schaum verlagerte sich und passte sich ihrem Leib an, um ihr größtmögliche Bequemlichkeit zu bieten. Langsam drangen
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