Die nächste Begegnung
»ich — du wirst mir sehr fehlen, und ich lie-be dich!« Er schwieg und schaute Simone an, dann seinen Vater. »Ich hoffe, du und Dad-dy seid sehr gglück-lich zu-ss-ammen.«
Simone sprang auf und schloss ihren zitternden kleinen Bruder in die Arme. »Ach, Benjy, danke, danke. Du wirst mir auch sehr fehlen. Aber ich werde dich immer und an jedem Tag in meiner Seele tragen.«
Dies und die Umarmung waren für das Kind zu viel. Sein Körper bebte von seinem schluchzenden Weinen, und sein gedämpftes, klägliches Stöhnen trieb allen die Tränen in die Augen. Momente später war Patrick seinem Vater auf den Schoß gestiegen und hatte die geschwollenen Augen an Michaels Brust gedrückt. »Daddy ... Daddy«, sagte er immer und immer wieder.
Kein Choreograph hätte einen schöneren Abschied erfinden können. Simone, strahlend und trotz ihres tränenüberströmten Gesichtes noch immer irgendwie von himmlischer Heiterkeit überstrahlt, tanzte durch den Raum und bot jedem einzelnen Familienmitglied ein persönlich bedeutsames Abschiedswort. Michael blieb auf dem Zweiersofa sitzen, hatte Pat ri ck auf dem Schoß und Benjy neben sich, und als die aufbrechenden Familienangehörigen zu einer letzten Umarmung nacheinander zu ihm traten, schwammen ihm immer wieder die Augen über.
An diesen Augenblick will ich mich immer und ewig erinnern, sagte Nicole zu sich. Da ist so unendlich große Liebe. Sie schaute die anderen im Zimmer an. Michael hielt gerade Klein-Ellie in den Armen: Simone versicherte Katie gerade, wie sehr sie die gemeinsamen Diskussionen vermissen werde.
Und diesmal war sogar Katies gewohnte Ungebremstheit irgendwie emotional abgewürgt: Sie blieb überraschend still, als Simone wieder zu ihrem Mann zurückging.
Michael hievte Patrick von seinen Knien und ergriff Simones ausgestreckte Hand. Gemeinsam wandten sie sich den anderen zu und knieten mit zum Gebet verschlungenen Händen nieder. »Unser Vater im Himmel ...«, sagte Michael mit starker Stimme. Dann hielt er mehrere Sekunden lang inne, bis die restliche Familie — sogar Richard — ebenfalls auf die Knie fiel.
»Wir danken DIR, dass DU uns die wundervolle Freude und Liebe dieser erstaunlichen Familie geschenkt hast. Und wir danken DIR auch, dass DU uns DEIN wundersames Wirken in DEINEM Universum gezeigt hast. Doch in diesem Augenblick erbitten wir von DIR, sofern es DEIN Wille ist, dass DU einen jeden von uns beschützen und behüten mögest, wenn wir nun getrennte Wege wandeln. Wir wissen nicht, ob es DEINEM Plan entspricht, dass wir einander einmal wiederbegegnen in der Brüderlichkeit und Liebe, die uns allesamt stets so aufgerichtet hat. Bleibe bei uns allen, o HERR, wohin auch immer uns unsere Wege in DEINER wundervollen Schöpfung führen, und lasse uns dereinst wieder zusammenfinden — in dieser oder der künftigen Welt. Amen.«
Sekunden später ertönte die Glocke an der Tür. Der Adler war da.
Nicole trat aus dem Haus, das absichtlich als verkleinerte Version des Landhauses ihrer Familie in Beauvois im irdischen Frankreich gestaltet worden war, und ging über den schmalen Pfad zur Station. Sie kam an anderen Häusern vorbei, die allesamt dunkel und unbewohnt waren, und sie versuchte sich auszumalen, wie es sein würde, wenn überall in ihnen Menschen sein würden. »Mein Leben ist wie ein Traum vergangen«, sagte sie laut zu sich selbst. »Bestimmt hat noch kein andres menschliches Wesen jemals derartig verschiedene Erfahrungsbereiche durchmessen müssen.«
Einige Häuser warfen ihre Schatten über den Pfad, als Nicole vorbeikam und die Stimulation einer Sonne, hoch droben über ihrem Kopf, ihre Bogenbahn an der Decke beendete. Auch eine recht bemerkenswerte Wahl, überlegte Nicole beim Anblick der Siedlung in der südöstlichen Ecke von New Eden. Der Adler hatte recht, als er behauptete, das Habitat werde sich in nichts von einem irdischen unterscheiden.
Flüchtig dachte Nicole an diese blaue Wasserwelt in neun Lichtjahren Entfernung. Im Geist sah sie sich neben Janos Tabori stehen, vor dreizehn Jahren war das gewesen, als das Raumschiff Newton von LEO- 3 ablegte. »Da liegt Budapest«, hatte Janos gesagt und mit den Fingern einen bestimmten Punkt auf dem hell leuchtenden Globus im Aussichtsfenster berührt. Nicole hatte Beauvois ausgemacht — oder doch die nähere Region —, indem sie von der Atlantikmündung flussaufwärts suchte. »Mein Zuhause liegt ungefähr da«, sagte sie zu Janos. »Und vielleicht schaut mein Vater mit meiner
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