Die nächste Begegnung
aus ihrem Gedächtnisbereich Signale in die übrigen Hirnregionen. New Eden. In Rama. Rückkehr in unser Sonnensystem ... erinnerte sie. Oder träume ich das alles nur!
Schließlich öffnete sie die Augen. Es fiel ihr sekundenlang schwer, klar zu sehen. Schließlich gewann die über sie gebeugte Gestalt Kontur. Es war ihre Mutter — in Krankenschwesterntracht!
»Missis Wakefield«, sagte die Stimme. »Es ist jetzt an der Zeit, dass du aufwachst und dich auf die Begegnung vorbereitest.«
Für einen Augenblick war sie im Schock. Wo war sie? Und was tat ihre Mutter hier? Dann erinnerte sie sich. Natürlich, die Roboter, dachte sie. Meine Mutter ist einer der fünf Human-Roboter. Ein Anawi-Tiasso-Roboter< ist ein Gesundheits- und Fitness-Spezialist.
Der mütterliche Roboterarm stützte sie, als sie sich in ihrer Koje aufrichtete. Während ihrer langen Schlafperiode hatte sich der Raum nicht verändert. »Wo sind wir?«, fragte sie und begann, aus dem Container zu steigen.
»Wir haben die Hauptbremsung beendet und sind jetzt in euer Sonnensystem eingetreten«, erklärte die jettschwarze Anawi Tiasso. »Eintritt in den Mars-Orbit findet in sechs Monaten statt.«
Nicoles Muskeln fühlten sich kein bisschen verändert an. Vor dem Abflug vom Nodus hatte der Adler sie informiert, dass in allen Schlafcontainern elektronische Spezialkomponenten installiert seien, die nicht bloß die Muskulatur und andere körperliche Biosysteme trainieren würden, um der Atrophie entgegenzuwirken, sondern auch die Funktion aller lebenswichtigen Organe überwachen sollten. Nicole stieg die Leiter hinab, und auf dem Boden streckte sie sich erst einmal.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Roboter Anawi Tiasso #017. Die Nummer war deutlich am rechten Uniformärmel sichtbar.
»Nicht schlecht«, erwiderte Nicole. »Gar nicht so schlecht, 017«, wiederholte sie, während sie den Roboter betrachtete. Er sah ihrer Mutter wirklich bemerkenswert ähnlich. Vor dem Abflug vom Nodus hatten Richard und sie sich alle Roboter-Prototypen vorgenommen, doch zwei Wochen vor ihrer Schlafperiode waren einzig die vom Typ Benita Garcia einsatzfähig gewesen. Sämtliche übrigen Roboter-Typen waren im Verlauf des langen Fluges gebaut und getestet worden. Das Ding sieht wirklich wie meine Mutter aus. Nicole bewunderte das Können der unbekannten ramanischen Kunsthandwerker. Sie haben alle meine Veränderungsvorschläge am Prototyp berücksichtigt und ausgeführt.
Von fern hörte sie Schritte näher kommen. Sie wandte sich um. Ein zweiter Anawi Tiasso kam auf sie zu, gleichfalls in weißer Schwesterntracht. »Nummer 009 ist eingeteilt, um ebenfalls bei der Initialisationsprozedur zu helfen«, sagte der Roboter an Nicoles Seite.
»Eingeteilt — von wem?«, fragte Nicole. Sie mühte sich gleichzeitig, sich an das Gespräch über das Erweckungsverfahren zu erinnern.
»Vom programmierten Auftragsplan«, erwiderte #017. »S o bald ihr Menschlichen alle lebendig und munter seid, empfangen wir alle unsere Befehle von euch.«
Richard wachte rascher auf, aber beim Herabsteigen über die kurze Leiter erwies er sich als weitaus unbeholfener. Beide Tiassos mussten ihn stützen, sonst wäre er gestürzt. Richards Freude, als er seine Frau sah, war unverkennbar. Er schloss sie lang in die Arme und küsste sie, dann starrte er sie mehrere Sekunden lang an. »Eigentlich siehst du ja immer noch recht frisch aus«, sagte er scherzend. »Ein bisschen mehr Grau in den Haaren, aber vereinzelt sichtet mein Blick noch gesunde schwarze Stellen.«
Nicole lächelte. Es war wie ein Wunder, dass sie wieder mit Richard reden konnte.
»Ach, übrigens«, fragte er gleich danach, »wie lang haben wir eigentlich in den irren Särgen da herumgelegen?«
Nicole zuckte die Achseln. »Weiß ich nicht. Ich hab noch nicht gefragt. Zuerst wollte ich mal aufwachen.«
Richard wandte sich an die beiden Tiassos. »Mögt ihr zwei feinen Damen mir Auskunft geben, wie viel Zeit verging, seit wir aus dem Nodus aufgebrochen sind?«
»Ihr habt seit neunzehn Jahren Reisezeit geschlafen«, erwiderte Tiasso #009.
»Was meint sie damit, Reisezeit?«, fragte Nicole.
Richard lächelte. »Ein Ausdruck aus dem Relativitätsdenken, Liebste. Zeit bedeutet nämlich überhaupt nichts, wenn du sie nicht in einem Bezugsrahmen siehst. In Rama sind neunzehn Jahre vergangen, doch diese Jahre sind nur bezogen auf ... «
»Gib dir keine Mühe«, unterbrach ihn Nicole. »Ich hab nicht so lang geschlafen, um dann beim
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