Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman
sodass es ihm egal gewesen wäre.
Nein, unwahrscheinlich. Alle Frauen, die ich kenne, sind bereits verheiratet. Alle, bis auf Nella.
Schon zum zweiten Mal überlege ich, wie es wohl wäre, richtig mit Nella verheiratet zu sein.
Ich müsste mein Leben mit einer Verräterin teilen.
Andererseits – wenn man von Nellas vielen schlechten Charaktereigenschaften (starrköpfig, geschwätzig, hinterhältig) absieht – gab es durchaus auch schöne Momente in unserer Ehe. Und damit meine ich nicht nur den Sex. Also, der Sex war natürlich auch gut. Irgendwie ehrlich. Ja, er war auf eine erfrischende Art ehrlich. Oder vielleicht könnte man sagen: spontan. Ja, das trifft es besser.
Sex mit anderweitig verheirateten Frauen ist nämlich etwa so spontan wie eine Mondfinsternis. Zum Glück nicht ganz so selten. Aber ohne Kalender läuft da eben gar nichts, und wenn man endlich einen Termin für das gemeinsame Schäferstündchen gefunden hat, muss es nach Möglichkeit schnell gehen. Schließlich ist entweder gerade Mittagspause, oder der betrogene Ehemann soll zum Feierabend auch noch einen Höhepunkt erleben dürfen: ein warmes Abendessen auf dem Tisch. Unter diesen Umständen jedes Mal eine brauchbare Erektion zu bekommen, kann man schon als beachtliche Leistung bezeichnen. Ich meine, nicht, dass ich auf dem Gebiet je Schwierigkeiten gehabt hätte, aber irgendwo zwischen
Beeil dich, ich muss gleich die Kinder aus der Kita holen
und
Mach den Slip nicht kaputt, den hat mir mein Mann geschenkt
liegt manchmal schon ein enormes Stück Konzentrationsarbeit.
Das war mit Nella anders.
Und – was mir im Nachhinein außerdem ganz gut gefällt – Nella war tatsächlich nur
meine
Frau. Jedenfalls nachdem ich den Leo-Idioten abgeschüttelt hatte.
Sie hätte das Zeug zur Arztfrau gehabt.
Ich stelle mir vor, wie sie mich abends zu Hause in ihren Netzstrümpfen empfängt, an den Wochenenden für Kollegen Essen ausrichtet und den Haushalt organisiert. Sie wäre der Grund, warum mich Frauen anderer verheirateter Männer nicht mehr interessieren würden, warum Patientinnen mich wegen meiner Fähigkeiten als Arzt und nicht als Liebhaber schätzten und warum ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren würde und nicht – dekadent wie Schümli – mit dem Chauffeur.
Hab ich sie noch alle?
Realistisch ist in Bezug auf Nella wohl ausschließlich die Sache mit den Netzstrümpfen. Alles andere sind Hirngespinste. Nebenwirkungen der Luftdruckveränderung hier an Bord vermutlich.
Denn ich will Nella garantiert nie wiedersehen. Ich bin stocksauer, und das Erste, was ich zu Hause mache, ist, ihre Karteikarte zu verbrennen. Und das Kleid. Der Reinigungsdienst des Hotels hat es mir heute Morgen stumm ins Zimmer gehängt, und ich habe es, zusammen mit den Schuhen, aus irgendwelchen idiotischen Gründen in meinen Koffer gestopft. Besser wäre es gewesen, ich hätte die Sachen gleich der Putzfrau geschenkt, dann müsste ich beim Auspacken nicht schon wieder an Nella denken. Ich möchte diesen Namen nämlich eigentlich vergessen.
«Möchten Sie etwas trinken?» Die Stewardess hat mit ihrem Wagen neben meinem Sitz haltgemacht und sieht mich freundlich an. «Oder einen Snack? Süß oder salzig?»
«Nein danke. Für mich nichts.»
Nicht mal einen Kaffee, denke ich, während der Getränkewagen an mir vorbeigeschoben wird. Seit gestern ist mir irgendwie der Appetit vergangen. Und zwar nicht nur wegen dem verlorenen Wettkampf, sondern auch weil ich spätestens morgen meinem Vater unter die Augen treten muss. Furchtbare Vorstellung. Allein der Gedanke daran lässt mich schon nach einer Valium lechzen. Er wird mir die Hölle auf Erden bereiten, so viel steht fest.
Ebenso wie Birte. Was hat sie sich nur dabei gedacht, als sie ihm ihr Herz ausgeschüttet hat? Was glaubt sie, wie mein Leben jetzt weitergehen wird? Ich meine, sie muss doch geahnt haben, dass ihre Enthüllungen zum Bruch zwischen meinem Vater und mir führen würden. Wollte sie das wirklich bezwecken? Warum?
Sie konnte natürlich nicht damit rechnen, dass sie bei ihrer Beichte belauscht wird und ich somit alles erfahre. Vermutlich wollte sie einfach stillschweigend zusehen, wie mein Vater mich rauswirft, und mir dann wie einem geprügelten Hund bei sich Unterschlupf gewähren. Ja, so hat sie sich das Ganze wahrscheinlich ausgemalt.
Allerdings hat Birte mich da gehörig unterschätzt. Den Job in der Schweiz hat Nella mir vermasselt, die Stelle bei meinem Vater geht auf ihr Konto. Aber so
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