Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman
komplizierter.»
Wieder folgt eine lange Pause, und langsam beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Es wird ihm doch nichts zugestoßen sein? Das sähe ihm nämlich ähnlich. Mir jede Möglichkeit zu nehmen, sauer auf ihn zu sein.
Als wir das Parkhaus erreichen, platzt meine Mutter endlich mit der Nachricht raus: «Dein Vater liegt im Krankenhaus.»
Also doch. Während sie die Parkkarte entwertet, versuche ich in ihrem Gesicht abzulesen, wie schlimm es um meinen Vater tatsächlich steht. Aber außer der Müdigkeit in ihren Augen kann ich keine nennenswerten Spuren von Trauer oder Sorge erkennen. Sie scheint jedenfalls nicht geweint zu haben, allzu schlecht kann es meinem Vater somit nicht gehen.
«Paul, du solltest zu ihm fahren.» Sie hat sich zu mir umgedreht. «Ich glaube, er möchte mit dir reden.»
«Du meinst wohl, er will mir vom Krankenbett aus eine Standpauke halten. Und damit ich möglichst schnell klein beigebe, spielt er den Todkranken.»
«Ach, Junge.» Meine Mutter sieht jetzt doch ein bisschen besorgt aus. Sie zieht mich in Richtung Auto. «Ich bitte dich – tu es mir zuliebe. Es ist wirklich wichtig.»
Schweigend wuchte ich meinen Koffer in das Heck des uralten Golfs. Auch so ein Sparsamkeitsding. Hoffentlich gibt der Wagen nicht noch während der Rückfahrt seinen Geist auf.
Mit gemischten Gefühlen setze ich mich auf den Beifahrersitz und verschränke die Arme vor der Brust. Ich bin erschöpft. In den letzten Tagen habe ich eindeutig zu viel gegrübelt, langsam geht mir die Puste aus. Außerdem kann ich nicht glauben, dass mein Vater wirklich krank ist. Bis auf einen Herzinfarkt hatte er eigentlich nie gesundheitliche Probleme.
«Ist es wieder das Herz?», frage ich meine Mutter und hoffe, dass es das nicht ist. Dann müsste man nämlich davon ausgehen, dass mein Vater, der sture Esel, bis zum Schluss die Zähne zusammengebissen hat und möglicherweise erst zu spät in die Klinik eingeliefert wurde. Ärzte sind ja bekanntlich die schlimmsten Patienten.
«Du solltest dir vielleicht selbst ein Bild machen, Paul. Dieses Mal liegen die Dinge etwas anders.»
Aha. Was will sie mir denn damit sagen? Ich meine, ich hatte doch eine klare Frage gestellt, warum gibt sie mir keine ebenso klare Antwort? «In welchem Krankenhaus ist er denn?», presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
«In St. Georg.»
Na, wenigstens in der Nähe.
Als wir Richtung Zentrum fahren, erwacht Mutter zum Leben. «Ich würde vorschlagen, ich setze dich bei dir zu Hause ab, du machst dich ein bisschen frisch, und dann treffen wir uns so gegen 18 Uhr 30 im Krankenhaus.» Sie tippt auf eine am Armaturenbrett angeklebte Uhr. «Schaffst du das?»
Ich nicke, aber da sie das gerade nicht sehen kann, füge ich noch ein resigniertes «Okay» hinzu.
Wenig später betrete ich meine Wohnung, schmeiße den Koffer ins Schlafzimmer und reiße als Erstes die Balkontür auf. Von hier aus hat man einen phänomenalen Blick auf die Alster. Ich atme tief ein und aus.
Am Himmel lässt sich keine Wolke ausmachen. Die Sonne wärmt noch immer und verleiht allem einen hübschen Goldstich. Ab und zu blitzt von irgendwoher Licht auf, wenn jemand ein Fenster oder eine Autotür schließt und die Scheiben die Sonnenstrahlen reflektieren.
Bis zur Verabredung mit meiner Mutter bleibt mir noch eine Dreiviertelstunde Zeit. Ich setze mich auf den Balkon und starre aufs Wasser. Schräg gegenüber, bei Bobby Reich, dem wohl prominentesten Bootssteg Hamburgs, machen gerade zwei Segler ihre Boote fest. Sie springen an Land und steuern zielstrebig die Terrasse des angrenzenden Restaurants an.
Wenn ich es mir recht überlege, wäre Hamburg für meine beruflichen Pläne eigentlich gar nicht so schlecht. Hier lebt ziemlich genau meine Zielgruppe: Leute, die sich jung fühlen und auch möglichst lange so aussehen wollen. Dafür muss man nicht zwangsläufig in eine andere Stadt oder gar in ein anderes Land ziehen. Außerdem merke ich jedes Mal, wenn ich für ein paar Tage verreist war, wie gern ich nach Hamburg zurückkehre. Die Stadt ist wunderbar vielseitig. Mondän und alternativ, konservativ und modern, hanseatisch zurückhaltend und gleichzeitig wunderbar quirlig – das ist Hamburg. Warum sollte es mir nicht möglich sein, hier etwas Eigenes aufzubauen? Eine eigene Praxis für ästhetische Gesichtsbehandlungen. So, wie ich es in Genf vorhatte. Nur dass ich mein eigener Chef wäre.
Unbeweglich blicke ich auf das glitzernde Wasser und
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