Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman
male mir weiter meine Zukunft aus. Und je länger ich darüber nachdenke, umso sicherer werde ich mir: Morgen lasse ich mir einen Termin bei meiner Bank geben. Mal sehen, ob diese Idee überhaupt eine Zukunft hat.
Zum Glück kann ich meine Zeit frei einteilen, denn ein Gutes hat die Krankheit meines Vaters in jedem Fall: In der Praxis bin ich jetzt der Chef und habe dort vorerst meine Ruhe vor ihm.
Ich beschließe, das Wetter noch ein bisschen auszukosten und mich dann zu Fuß auf den Weg zum Krankenhaus zu machen.
[zur Inhaltsübersicht]
24. Nella
Dienstagabend
21 Uhr 54 . Oh mein Gott! Kann nicht glauben, was heute passiert ist!
Bin schon früh ins
Fashion-Café
gegangen, um in Ruhe ein bisschen umzudekorieren. An Schlaf war ab 6 Uhr ohnehin nicht mehr zu denken.
Im Laden umgab mich dann eine wunderbar ruhige und positive Stimmung. Fast so, als hätte es Paul nie gegeben. (War natürlich ein Trugschluss, aber umringt von schönen Klamotten und mit einem Kaffee in der Hand lasse ich mich schon mal etwas gehen.)
Außerdem hatte jemand während meiner Genf-Reise ein Kostüm von Vivienne Westwood abgegeben, das ich natürlich sofort anprobieren musste. Es passte wie angegossen! Konnte es mir nur leider nicht leisten, jedenfalls nicht sofort. Irgendwann hatten die Mädels und ich nämlich mal beschlossen, dass wir uns jeweils nur zehn Prozent Rabatt gewähren. Sonst würden Elisa und ich den Laden leerkaufen, ehe wir auch nur einen Cent eingenommen hätten. Und dann wären wir darauf angewiesen, unseren Lebensunterhalt allein durch das Café zu bestreiten, was natürlich utopisch ist. Schließlich betreiben wir nur ein kleines Biorestaurant und nicht das
Café Kranzler.
Hoffte deshalb sehr, dass das Westwood-Kleid noch eine Weile nicht gekauft würde.
Gegen 9 Uhr tauchten Mashavna, Elisa, Melanie und Mops auf, und sofort kam Leben in die Bude. Mashavna verteilte Zuckerstreuer und Kerzen auf den Tischen und fischte dann etwas aus einer Baumwolltasche von Marc Jacobs. Auch wenn Mode nicht gerade ihr Steckenpferd ist, findet sie in unserem Sortiment doch immer mal ein Teil, das ihr gefällt.
«Schaut mal, was ich in dem Bioladen in meiner Straße entdeckt habe», rief sie und breitete freudestrahlend eine Ansammlung Beuteltee auf einem der Tische aus. «Dieser Tee hier heißt zum Beispiel:
Für die Liebe
. Ist das nicht romantisch? Es gibt auch noch die Sorten
Pure Lust, Tausendschön
und diverse andere. Wenn wir diesen Tee in unser Sortiment aufnehmen, dann können Leute wie du, Nella, an schwierigen Tagen einfach den passenden Tee zu ihrer Stimmung wählen.» Sie kramte noch einen Zettel aus der Tasche, auf dem das komplette Sortiment aufgeführt war.
Leute wie ich?
Gehörte ich jetzt etwa schon einer Risikogruppe an? Was war nur mit meinen Freundinnen los? Erst nannten sie mich verklemmt, und nun glaubten sie, ich bräuchte einen Tee mit Namen
Pure Lust
? Dabei hatte Mashavna mich doch vor nicht mal 48 Stunden für die Zwillingsschwester von Lady Chatterley gehalten. Und jetzt das?
Ich war mir außerdem nicht sicher, ob unsere Kunden sich tatsächlich stimmungsmäßig von einem Teebeutel beeinflussen ließen, hielt aber meinen Mund. Mashavna mischt sich ja auch nicht ein, wenn es darum geht, welche Kleidungsstücke wir annehmen und welche es nicht in den Laden schaffen. Für so etwas gibt es nämlich strenge Maßstäbe. Zuallererst muss die Ware natürlich original sein. Dazu noch sauber und unversehrt. Ein richtig dicker Fang gelingt uns, wenn die Teile aus den aktuellen Kollektionen sind. Man glaubt ja gar nicht, wie viele verzweifelte Hausfrauen (oder Geliebte) sich am Wochenende von ihrem Mann einkleiden lassen und die Sachen dann am Montag gegen Bargeld bei uns eintauschen.
Zur Mittagszeit – ich saß gerade mit Mashavna bei einer Buchweizencrêpe – passierte dann das Unglaubliche: Birte Morgenroth, Pauls haifischgleiche Arzthelferin, schneite in den Laden.
Mag sein, dass ich noch vor etwa 24 Stunden Elisas Idee, mit der Morgenroth ein klärendes Gespräch über Paul zu führen, einleuchtend und zeitweise sogar gut fand. Aber in dem Moment, als sie leibhaftig das
Fashion-Café
betrat, verließ mich der Mut. So spontan war ich einfach nicht. Für so etwas brauchte ich ein klares Konzept. Eine Auswahl an möglichen Gesprächsauftakten – oder wenigstens eine Waffe.
Da ich von all dem nichts hatte, beschloss ich, mich erst einmal zu verstecken und im Stillen abzuwarten.
Weitere Kostenlose Bücher