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Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman

Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman

Titel: Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Morgowski
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Hamburger Stadtteil Sankt Georg, nun mal keine. Das behauptet er jedenfalls. Sehr schade, denn wäre er nur ein bisschen empfänglich für Trends und würde mal ein paar Euro in die Praxisausstattung stecken, könnte auch bei ihm am Ende des Quartals die Kasse klingeln. Schon ein, zwei neue Behandlungsgeräte würden ihn auf Dauer finanziell besser dastehen lassen. Dann würde er möglicherweise sogar endlich eine anständige Kaffeemaschine anschaffen. Dieser Filterkaffee, den er uns zumutet, schmeckt nicht nur abscheulich, sondern ist vermutlich sogar gesundheitlich bedenklich.
    Aber Geld interessiert meinen Vater nun mal nicht, und Geldausgeben noch viel weniger. Er gönnt sich nur das Nötigste, fährt einen schätzungsweise hundert Jahre alten Daimler, besitzt einen etwa ebenso alten Rauhaardackel mit Namen Bruno, und in Stoßzeiten sowie als Urlaubs- oder Krankheitsvertretung muss meine Mutter in der Praxis aushelfen. Unentgeltlich selbstverständlich. Aber dafür macht er ihr immerhin in regelmäßigen Abständen Geschenke. Etwa alle zehn Jahre. Das letzte Mal, an das ich mich erinnern kann, war im Jahr 2002. Damals meldete der Elektrofachhandel Brinkmann Insolvenz an und veräußerte seinen Restbestand zu Dumpingpreisen. Mein Vater erwarb bei dieser Gelegenheit einen Radiowecker und für meine Mutter ein Epiliergerät.
    So ein Leben möchte ich nicht führen. Niemals. Und das nicht nur, weil ich mich vor Epiliergeräten fürchte.
    Warum ich trotzdem in seiner Praxis gelandet bin? Weil ich mich habe überreden lassen. Von meiner Mutter. Anfang des Jahres beschloss mein Vater nämlich, mir einen Strich durch die Karriereplanung zu machen. Kaum war ich mit meinen Fortbildungen durch, da bekam er einen Herzinfarkt. Einfach so. Nichts Dramatisches, aber schlimm genug, um ihn für eine Weile außer Gefecht zu setzen. Und an dieser Stelle kam dann meine in Tränen aufgelöste Mutter ins Spiel. Immer schon seine Geheimwaffe. Ob ich denn nicht wenigstens die Krankenvertretung machen könne, wollte sie wissen. Nur ein paar Monate und vielleicht noch eine klitzekleine Übergangszeit. Seit in unserem Einzugsgebiet so viel gebaut würde, komme Vater mit der Arbeit ohnehin kaum noch hinterher. Außerdem solle er nach der Reha nicht gleich wieder das volle Arbeitspensum vor sich haben. Und deswegen sei meine Unterstützung unerlässlich.
    Und hier bin ich nun. Am Ende dieser vermeintlichen Übergangszeit und am Ende meiner Nerven.
    Doch es gibt einen Lichtstrahl am Horizont. Bald wird sich mein Leben von Grund auf ändern. Bald hat das Horrorszenario hier ein Ende. Weil ich dann nämlich im Ausland den längst verdienten Karrieresprung machen werde. Weit weg von dieser vorsintflutlichen Praxis mit den verstaubten Geräten und dem noch verstaubteren Patientenstamm. Falls alles so läuft, wie ich es eingefädelt habe, werde ich schon bald Partner von Professor Schümli sein, einem angesehenen Schweizer Schönheitschirurgen, der mit seiner kleinen, exklusiven Privatklinik in Genf expandieren will. Hierfür sucht er einen professionellen Partner. Einen, der sich genau um den Bereich kümmert, der mein Spezialgebiet ist: Anti-Aging. In seiner Klinik tummeln sich bereits jetzt die Prominenten, und bald werden diese sich darum reißen, von
mir
behandelt zu werden. Dann finden sich in meiner Patientenkartei Namen wie Beckham, Hilton oder Ricola, und sehr bald wird auch Schümlis neue Klinik eine Institution und werde ich ein reicher Mann sein.
    «Herr Doktor?» Frau Schlichting, die sich inzwischen den kompletten BH vom Leib gezerrt hat, presst ihren Busen gegen meinen Bauch. «Ich wollte Ihnen eben nicht zu nahe treten, aber 

na ja, Sie wissen schon 

Ihr Ruf eilt Ihnen nun mal voraus.»
    Also, viel näher könnte sie mir eigentlich kaum mehr treten. «Frau Schlichting, wollen Sie damit andeuten, mein Ruf ist es, dass ich Brust und Schulter, also vorn und hinten, nicht unterscheiden kann?»
    Sie schürzt die Lippen. «Nein, nein, das vielleicht nicht gerade. Aber vorn und hinten, das scheint mir schon ein gutes Stichwort zu sein 

»
    «Ich verstehe nicht ganz.»
    «Na ja, Ihr Ruf als Frauenheld 

Der eilt Ihnen voraus. Und jetzt tun Sie bloß nicht so, als würde Ihnen das nicht schmeicheln.»
    Ich sag’s ja: Hier sind nur Verrückte. Wäre dies nicht die Praxis meines Vaters, hätte ich Konstanze Schlichting vermutlich längst zum Kollegen Krunze überwiesen. Dem eilt nämlich ebenfalls ein Ruf voraus, und zwar

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