Die Nächte des Wolfs 02 - Zwischen Mond und Verderben
zugetragen hatte. In Gedanken redete ich mir ein, dass ich nichts zu befürchten hatte. Die Bedrohung – die Gefahr – war vorüber. Ich verdrängte die schrillen Erinnerungen an Blut und Kugelhagel und ließ meinen Geist treiben.
Ich begriff, dass hier keine eindeutigen Antworten zu erwarten waren. Die Antworten, die ich brauchte, konnte mir nur Pietr geben. Und damit löste sich langsam der Knoten in meinem Innern. » Los, auf geht’s. « Ich gab Rio einen Klaps auf die Schulter und schlüpfte mit dem Fuß in den Steigbügel.
Vom gemächlichen Trab ging es erst in einen leichten, bald aber in einen gestreckten Galopp. Wir machten die verlassenen Wege des Parks unsicher, schossen mit minimalem Druck meiner Knie an Rios Rippen den Weg zurück, den wir gekommen waren, und erprobten mit haarscharfen Wendungen unser Können.
Auf einem längst verlassenen Pfad stießen wir auf mein liebstes Hindernis, einen umgestürzten Baum. » Rio « , flüsterte ich, weit nach vorn gelehnt, sodass mein Atem sie am Ohr kitzelte. » Los, das versuchen wir. « Wir trotteten ein paar Schritte rückwärts. » Fertig? « , fragte ich und spürte, wie ihre Muskeln vor Aufregung zuckten.
» Hej-ho! « Wir jagten den schmalen Pfad entlang, wirbelten das Laub auf und als wir dem Baumstamm näher kamen, hob ich mich aus dem Sattel, lehnte mich nach vorn und streckte den Rücken durch. Rio flog über den Stamm, die Beine mustergültig ausgestreckt. Bei der Landung gab es einen Ruck, aber das mochte auch mein Herz gewesen sein, das nach diesem großartigen Sprung wieder an seinen Platz rutschte.
» Fabelhaft! « , rief ich und klopfte ihr mit der Hand auf den Hals, während sie in hohem Tempo weiterlief.
Dann drehte sie ein Ohr nach rechts und ich spürte, wie sie sich augenblicklich anspannte. » Ruhig, meine Schöne « , sagte ich, doch dann hörte ich es auch.
Es kribbelte, als sich mein Haar im Nacken aufstellte. Einen halben Schritt hinter uns preschte etwas mit gleicher Geschwindigkeit durch Dornen und Gestrüpp.
Etwas Großes.
Ich ließ Rio freien Lauf und spürte, dass sie noch weiter ausgriff, und dann sprühte Schaum aus ihrem Maul und vom Hals. Ihr Hufschlag dröhnte auf der festgetretenen Erde und schüttelte mich durch. Ich zog die Zügel an und lauschte, ob ich außer ihrem heftigen Atem und den trommelnden Hufen noch etwas hören konnte.
Dann sah ich etwas durchs Unterholz jagen, dem dichten Gestrüpp mit erstaunlich wendigen Läufen ausweichen.
In einem beinahe unerträglichen Aufbäumen berückender Rot- und Violetttöne zog sich das Licht vom Abendhimmel zurück. Wir konnten nicht vor Einbruch der Dunkelheit aus dem Park sein, ganz gleich, wie wir uns bemühten.
Vor uns weitete sich der Weg. Die Buschzeile, die uns von unserem Jäger trennte, endete und beide Wege mündeten auf eine Lichtung. » Gleich werden wir’s wissen « , murmelte ich, weit über Rios Hals gebeugt, während meine Jackenärmel ihren Schweiß aufsaugten.
Dann war das Brombeergestrüpp mit einem Mal fort und ein riesiger wilder Wolfsschatten stürzte hervor. Aber kein gewöhnlicher Wolf.
Rio geriet in Panik und bäumte sich auf, tanzte auf der Hinterhand und schlug mit den Vorderläufen aus.
Sie wieherte gellend, aber das Ungeheuer war schon kein Wolf mehr, sondern Pietr, der ihr so geschmeidig in die Zügel fiel, dass sie sich mit ihm umwandte und ich aus dem Sattel plumpste.
Direkt in seine starken Arme.
» Ab! « , befahl er so leise, dass mir das einzelne Wort fast entgangen wäre.
Rio hörte es. Mit einem empörten Schnauben gehorchte sie, rollte wild mit den Augen und ließ die Hufe aufstampfen.
» Iswinite « , flüsterte er ihr zu. » Ich dachte, du würdest dich nicht fürchten, da wir uns doch kennen … « Er zwinkerte verschmitzt und wandte sich mir zu – noch immer in seinen Armen. » Sdrasdwuj « , schnurrte er zur Begrüßung. Als er mich absetzte, glitten meine Hände über seine nackte Brust.
Nackt.
Ich lief so leuchtend rot an, dass mein Gesicht die Dämmerung um gut und gern zwei Stunden zurückgedreht hätte. Ich wandte mich ab und konzentrierte mich auf Rio. Und meine Atmung. Mir schlotterten noch immer die Knie und ich wagte nicht ihn anzusehen.
Er wirkte verwirrt. Sein Gehirn war noch nicht wieder ganz aus dem des Wolfsmodus getreten.
» Hallo? « , meinte ich mit gespielter Gleichgültigkeit. » Wie wär’s mit einer Hose? «
» Da. Hose. « Schon jagte er als Wolf zurück auf den Pfad. Ich hörte ihn
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