Die Namen der Toten
Nancy Proviant kaufte, während Will nervös im Auto sitzen blieb. Inzwischen standen zwei Tüten mit Lebensmitteln auf dem Rücksitz, allerdings hatte sie sich beharrlich geweigert, auch eine Flasche Schnaps mitzubringen.
Sie fuhren über die Hutchinson Avenue auf die Whitestone Bridge zu. Will erinnerte Nancy noch einmal daran, dass sie seine Tochter anrufen sollte. Dann verstummte er und betrachtete die Sonne, die sich über dem East River orangerot färbte.
Das Haus von Nancys Großeltern lag an einer ruhigen, von kleinen Häusern gesäumten Straße in Forrest Hills. Ihr Großvater lebte aufgrund einer Alzheimer-Erkrankung in einem Pflegeheim, und ihre Großmutter machte bei einer Nichte in Florida Urlaub. Der alte Ford Taurus des Großvaters stand immer noch angemeldet in der Garage hinter dem Haus. Für den Fall, dass ein Wundermittel gegen Alzheimer entdeckt wurde, wie Nancy bitter erklärte. Sie trafen in der Abenddämmerung ein und hielten vor dem Haus. Die Garagenschlüssel lagen unter einem Ziegelstein, die Autoschlüssel unter einer Farbdose in der Garage. Alles Weitere würde von ihm abhängen.
Er beugte sich zu ihr hinüber, um sie zu küssen, und eine ganze Zeit lang saßen sie eng umschlungen wie ein Liebespaar aus einem Kinofilm in der Auffahrt.
»Vielleicht sollten wir reingehen«, sagte Will.
Spielerisch tippte sie ihm mit der Zeigefingerspitze an die Stirn. »Ich schleiche mich doch nicht in das Haus meiner Großmutter, um es dort mit einem Mann zu treiben!«
»Schlechte Idee?«
»Sehr schlecht. Außerdem wirst du davon müde.«
»Das wäre nicht gut.«
»Nein, wäre es nicht. Ruf mich von unterwegs aus regelmäßig an, okay?«
»Okay.«
»Wird dir auch nichts passieren?«
»Mir passiert nichts.«
»Versprichst du’s?«
»Ich verspreche es.«
»Es gab heute übrigens noch was in der Dienststelle«, sagte sie und küsste ihn ein letztes Mal. »John Mueller war für ein paar Stunden wieder da. Wir sollen gemeinsam die Banküberfälle in Brooklyn bearbeiten. Ich habe eine Weile mit ihm geredet, und weißt du, was?«
»Was?«
»Ich glaube, er ist ein echtes Arschloch.«
Er lachte, reckte den Daumen hoch und öffnete seine Tür. »Dann hat meine Arbeit hier ja wenigstens ein gutes Ergebnis gehabt.«
Mark ärgerte sich maßlos. Warum habe ich bloß eingewilligt, meinen Urlaub zu unterbrechen?
Er war weder schlagfertig genug noch körperlich fit genug, um sich zu verteidigen – immer war er nur der harmlose Mark gewesen. Für seine Eltern genauso wie für seine Lehrer oder seine Vorgesetzten. Immer nur begierig darauf, ihnen zu gefallen, und zu ängstlich, um sie zu enttäuschen. Er wollte das Hotel nicht verlassen und diese köstliche Blase, in der er und Kerry sich eingerichtet hatten, zum Platzen bringen.
Sie war im Badezimmer und machte sich fertig. Sie hatten einen großartigen Abend vor sich: Essen im Rubochon’s im MGM Mansion , ein bisschen Black Jack und zum Abschluss ein paar Drinks im Tao Beach Club des Venetian . Er musste morgen sehr zeitig aufbrechen und zum Flughafen fahren und würde wahrscheinlich in einer sehr desolaten Verfassung sein, aber was konnte er jetzt noch daran ändern? Wenn er nicht auftauchte, würde er alle möglichen Alarmglocken zum Klingeln bringen.
Er trug bereits seinen Abendanzug, aber er war so rastlos, dass er sich noch einmal in den superschnellen Internetservice des Hotels einloggte. Er schüttelte den Kopf: eine weitere E-Mail von Elder. Der Mann saugte ihn richtig aus, aber Geschäft war Geschäft. Vielleicht war er mit fünf Millionen Dollar ja auch zu billig gewesen. Vielleicht sollte er Elder in ein paar Monaten weitere fünf Millionen abverlangen. Was konnte der Typ schon machen? Nein sagen?
Während Mark sich Elders neue Liste vornahm, arbeitete Malcolm Fraziers Truppe auf Alarmstufe Alpha – das hieß kaltes Essen und Übernachten auf Feldbetten. Es waren ohnehin ziemlich reizbare Typen, und die Aussicht, die Nacht nicht zu Hause im Bett mit ihren Frauen und Freundinnen verbringen zu können, stimmte sie nicht gerade freundlicher. Frazier hatte sogar Rebecca Rosenberg gezwungen, über Nacht zu bleiben, das war eine Premiere. Sie war außer sich wegen der ganzen Sache.
Frazier deutete genervt auf seinen Monitor. »Da, seht mal. Er ist wieder auf diesem verschlüsselten Portal. Warum, verdammt nochmal, kommt ihr da nicht rein? Wie lange soll es noch dauern, bis ihr das knackt? Wir wissen nicht mal, wer am anderen Ende
Weitere Kostenlose Bücher