Die Namen der Toten
genauso wie die echten, nur war es bei unserer Tochter hier keine unbefleckte Empfängnis!«
»Dad!«, protestierte Nancy.
»Möchten Sie noch ein Stück Hühnchen, Will?«, fragte Mary.
»Ja, Ma’am, gern, danke.«
»Nancy hat mir erzählt, dass Sie den Nachmittag in unserer schönen Bibliothek zugebracht haben«, sagte Joe.
»Stimmt. Und ich bin dort auf einen sehr schrägen Typen gestoßen.«
Mary verzog das Gesicht. »Donny Golden«, sagte sie.
»Kennen Sie ihn?«, fragte Will.
»Jeder kennt Donny«, antwortete Nancy.
»Erzähl Will, woher du ihn kennst, Mary«, drängte Joe.
»Ob Sie’s glauben oder nicht, Will, aber Donny und ich sind zusammen auf die Highschool gegangen.«
»Sie war seine Freundin!«, rief Joe ausgelassen.
»Wir sind ein einziges Mal miteinander ausgegangen! Es ist wirklich eine traurige Geschichte. Er war der hübscheste Junge weit und breit, aus einer netten jüdischen Familie. Er war vollkommen gesund, als er aufs College wechselte, wurde aber im ersten Studienjahr schwer krank. Manche sagen, es waren Drogen, andere meinen, er hätte damals psychische Probleme bekommen. Er war jahrelang in psychiatrischen Kliniken. Jetzt lebt er in einer Art betreuten Wohnung im Stadtzentrum und verbringt seine ganze Zeit in der Bibliothek. Er ist harmlos, aber es tut mir immer weh, wenn ich ihn sehe. Deshalb gehe ich nicht mehr hin.«
»So schlecht ist sein Leben doch gar nicht«, sagte Joe. »Keinerlei Druck. All das Schlechte auf der Welt bekommt er gar nicht mit.«
»Ich finde seine Geschichte auch traurig«, sagte Nancy, die an ihrem Essen nur herumpickte. »Ich habe Bilder von ihm in Mums Highschool-Jahrbuch gesehen. Er war richtig süß.«
Mary seufzte. »Wer weiß, wozu ihn das Schicksal bestimmt hat. Wer wird das jemals wissen?«
Mit einem Mal wurde Joe ernst. »Also, Will, erzählen Sie, wie es bei Ihnen steht. Ich habe gehört, dass da ein paar komische Sachen laufen. Ich mache mir natürlich auch um Sie Sorgen, aber als Vater mache ich mir vor allem Sorgen um meine Tochter.«
»Will darf nicht über eine laufende Ermittlung sprechen, Dad.«
»Nein, hören Sie, ich habe Sie schon verstanden, Joe. Ich muss ein paar Dinge erledigen, aber ich möchte nicht, dass Nancy in irgendetwas davon verwickelt wird. Sie hat eine große Karriere vor sich.«
»Mir wär’s lieber, wenn sie etwas weniger Gefährliches machen würde, als beim FBI zu arbeiten«, wandte ihre Mutter ein, und es klang nach einer ständig wiederkehrenden Klage.
Nancy zog ein Gesicht, und Joe tat die Bedenken seiner Frau mit einer kurzen Handbewegung ab. »Soweit ich weiß, standen Sie kurz vor einer Festnahme, wurden dann aber von der Ermittlung abgezogen. Wie kann so etwas in den Vereinigten Staaten von Amerika passieren? Als meine Eltern noch in Polen lebten, waren dort solche Sachen an der Tagesordnung. Aber hier?«
»Genau das möchte ich herausfinden. Nancy und ich haben viel Zeit in diesen Fall gesteckt, außerdem sind da die Mordopfer; und den Täter zu finden ist das Einzige, was wir noch für sie tun können.«
»Also, tun Sie, was Sie tun müssen. Sie scheinen in Ordnung zu sein. Und Nancy mag Sie sehr. Deshalb werde ich Sie in meine Gebete einschließen.«
Die Oper im Radio war zu Ende, und der Sender brachte einen Nachrichtenüberblick. Keiner von ihnen hätte darauf geachtet, wäre nicht Wills Name gefallen.
»Und nun weitere Nachrichten. Die New Yorker Dienststelle des Federal Bureau of Investigation hat einen Haftbefehl gegen einen eigenen Mitarbeiter erlassen. Special Agent Will Piper ist zur Fahndung ausgeschrieben und soll wegen Unregelmäßigkeiten und strafbaren Fehlverhaltens bei Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Doomsday-Killer vernommen werden. Piper, mit fast zwanzig Dienstjahren ein Veteran der Strafverfolgung, war durch seine Auftritte bei Presseerklärungen in Verbindung mit dem noch immer ungeklärten Doomsday-Fall vielfach in den Medien präsent. Sein aktueller Aufenthaltsort ist unbekannt. Es wird angenommen, dass er bewaffnet und möglicherweise gefährlich ist. Sachdienliche Hinweise auf seinen Verbleib werden von den örtlichen Polizeibehörden oder dem FBI angenommen.«
Will stand auf und zog seine Jacke an. Kurz betastete er die Rose an seinem Revers. »Joe, Mary, danke für das Essen und Ihre Gastfreundschaft. Aber jetzt ist es Zeit zu gehen.«
In Richtung Stadt war um diese Tageszeit kaum Verkehr. Sie hatten zunächst an einem Supermarkt in Rosedale angehalten, wo
Weitere Kostenlose Bücher