Die Namen der Toten
warten.«
Er stampfte mit dem Fuß auf und schrie, als hätte er einen pubertären Wutanfall: »Nein! Ich will nicht warten! Ich will sofort los!«
Sie wich einen Schritt zurück. »Aber wozu die Eile, Schatz?« Er machte ihr Angst.
Er hätte beinahe wieder angefangen zu weinen, konnte sich jedoch beherrschen. Schniefend packte er seinen Laptop ein und stellte sein Handy ab. »Weil das Leben zu kurz ist, Kerry. Viel zu kurz, verflucht nochmal.«
30. Juli 2009 – Los Angeles
Ihr Zimmer ging auf den Rodeo Drive. Mark stand im Hotelbademantel am Fenster und betrachtete trübsinnig die Luxuswagen, die vom Wilshire Boulevard auf den Rodeo abbogen. Die Sonne stand noch nicht hoch genug, um den morgendlichen Dunst aufzulösen, aber es sah so aus, als würde es wieder ein herrlicher Tag werden. Die Suite im 14. Stockwerk des Beverly Wilshire Hotel kostete 2500 Dollar die Nacht. Er hatte bar bezahlt, um es den Überwachern ein bisschen schwerer zu machen, aber diese Leute waren Profis. Er überprüfte das Handy in Kerrys Handtasche. Er hatte es abgestellt, während sie fuhr, und es war immer noch aus. Vermutlich hatten sie sie bereits auf dem Radar, aber er spielte auf Zeit. Kostbare Zeit.
Sie waren spät angekommen, nach einer langen Fahrt durch die Wüste, auf der keiner von ihnen viel gesprochen hatte. Um Pläne zu machen, war keine Zeit gewesen, aber Mark wollte, dass alles perfekt war. Er dachte an den Morgen zurück, an dem er als siebenjähriger Junge einmal vor seinen Eltern aufgewacht war und das Frühstück für sie vorbereitet hatte. Er hatte eine Banane in Scheiben geschnitten, die Schalen mit Müsli, Bestecke und kleine Gläser mit Orangensaft vorsichtig auf einem Tablett an ihr Bett getragen und es ihnen stolz präsentiert. Er hatte an diesem Tag alles perfekt machen wollen, und als es ihm gelang, forderte er noch Wochen später ihr Lob. Wenn er seinen Verstand benutzte, konnte er auch heute Erfolg haben.
Sie hatten sich bei ihrer Ankunft Champagner und Steaks gegönnt. Noch mehr Champagner würde zu den Crêpes mit Erdbeeren kommen, die er zum Brunch bestellt hatte. In einer Stunde würden sie sich in der Lobby mit einer Immobilienmaklerin treffen und den ganzen Nachmittag lang Häuser besichtigen. Er wollte, dass Kerry glücklich war.
»Kerry?«
Sie regte sich unter der Bettdecke, und er rief ihren Namen ein bisschen lauter noch einmal.
»Hier«, murmelte sie ins Kissen.
»Der Brunch kommt gleich.«
»Haben wir nicht gerade gegessen?«
»Das ist doch schon Ewigkeiten her. Wie wär’s mit Aufstehen?«
»Okay. Hast du Bescheid gesagt, dass du nicht zur Arbeit kommst?«
»Sie wissen Bescheid.«
»Mark?«
»Hmm?«
»Du hast dich gestern Abend irgendwie seltsam benommen.«
»Ich weiß.«
»Benimmst du dich heute normal?«
»Ja.«
»Kaufen wir heute wirklich ein Haus?«
»Wenn du eins findest, das dir gefällt.«
Sie stützte sich auf und schaute ihn mit einem stallenden Lächeln an. »Tja, mein Tag fängt ja ziemlich gut an. Komm her, dann sorg ich dafür, dass deiner auch schön anfängt.«
Will fuhr die ganze Nacht durch und hatte in der Morgendämmerung das Flachland von Ohio erreicht. Er ging ein hohes Risiko ein und hoffte, dass er Glück hatte, in keine Radarfalle geriet und von keiner Zivilstreife gestoppt wurde. Die gesamte Strecke würde er nicht durchhalten, ohne zu schlafen, das wusste er. Außerdem musste er seine Unterkünfte sorgfältig aussuchen, Fernfahrermotels nahe dem Highway, in denen er bar bezahlen und sich vier Stunden hier, sechs Stunden dort erholen konnte – mehr nicht. Bis Freitagabend wollte er in Las Vegas sein, und dann würde er diesem Arschloch das Wochenende verderben.
Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er zum letzten Mal eine Nacht durchgemacht hatte, vor allem ohne Alkohol, und es bekam ihm nicht gut. Er sehnte sich nach Schnaps, nach Schlaf und nach jemandem, der ihm half, seine Wut loszuwerden. Seine Hände waren verkrampft, weil er das Lenkrad zu fest umklammerte, und sein rechter Knöchel schmerzte, weil der alte Taurus keinen Tempomat hatte. Seine Augen waren gerötet und trocken, seine Blase drückte vom letzten großen Kaffee. Das Einzige, was ihn tröstete, war die rote Rosenknospe der Lipinskis, die frisch und unversehrt in einer Plastikwasserflasche im Getränkehalter steckte.
Mitten in der Nacht verließ Malcolm Frazier seine Einsatzzentrale und machte einen Spaziergang, um einen klaren Kopf zu bekommen. Die neueste
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