Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
Vom Netzwerk:
stehen und streckte sich nach einem großen Buch mit abgewetztem Einband. Er musste mit beiden Händen zupacken, um es aus dem Regal zu ziehen, dann hielt er es Will hin.
    Die Heilige Schrift.
    »Die Bibel?«, sagte Will einigermaßen überrascht. »Ich muss gestehen, Donny, dass ich kein großer Bibelleser bin. Lesen Sie denn die Bibel?«
    Donny blickte auf seine Stiefel hinunter und schüttelte den Kopf. »Ich les sie nicht.«
    »Aber Sie meinen, ich sollte sie lesen?«
    »Sie sollten sie lesen.«
    »Noch irgendwelche anderen Bücher, die ich lesen sollte?«
    »Ja. Da ist noch eins.«
    Wieder eilte er davon, gefolgt von Will, der sich die gut vier Kilo schwere Bibel unter den Arm geklemmt hatte, sodass sie an sein Schulterholster drückte. Wills Mutter, eine sanftmütige Baptistin, die seinen Mistkerl von Vater siebenunddreißig Jahre lang ertragen hatte, hatte unentwegt in der Bibel gelesen. Und in diesem Moment sah Will sie wieder vor sich, wie sie am Küchentisch saß, mit bebender Unterlippe in ihrer Bibel las, sich in ihrem verpfuschten Leben an diesen Worten aufrichtete, während sein Alter Herr besoffen im Wohnzimmer lag und sie aus Leibeskräften brüllend verfluchte. Und als sie schließlich selbst an der Flasche hing, weil sie es nicht mehr aushielt, suchte sie in der Bibel nach Vergebung. Will würde so schnell keine Bibel lesen.
    »Ist das nächste Buch genauso tiefsinnig wie das hier?«, fragte Will.
    »Ja. Und es ist genauso gut.«
    Will konnte es kaum erwarten.
    Sie stiegen eine weitere Treppe ins unterste Geschoss hinab und kamen in einen Raum, der nicht so wirkte, als kämen hier viele Leute vorbei. Plötzlich blieb Donny stehen, und dann kniete er sich vor ein Regal voll ledergebundener Bücher. Triumphierend zog er eines davon heraus. »Das ist gut für Sie.«
    Will war gespannt. Was könnte es nach Ansicht dieses armen Kerls mit der Bibel aufnehmen? Er wappnete sich innerlich.
    Gesetzeskodex des Staates New York – 1951.
    Er legte die Bibel hin und schlug das neue Buch auf. Wie der Titel ankündigte, enthielt es Seite um Seite Gesetzestexte, hauptsächlich über Landnutzungsrechte. Vermutlich war mindestens ein halbes Jahrhundert vergangen, seit jemand diesen Wälzer zum letzten Mal angerührt hatte. »Tja, das ist mit Sicherheit sehr tiefsinnig, Donny.«
    »Ja. Es ist ein gutes Buch.«
    »Sie haben die beiden aufs Geratewohl ausgesucht, nicht wahr?«
    Er nickte energisch. »Aufs Geratewohl, Will.«
     
    Um halb sechs saß Will schlafend im Lesesaal. Sein Kopf lag auf der Bibel und dem Gesetzbuch. Als er spürte, wie ihn jemand am Ärmel zupfte, blickte er auf und sah Nancy neben sich stehen. »Hi.«
    Sie musterte seinen Lesestoff. »Frag nicht«, sagte er.
    Dann saßen sie in ihrem Auto und redeten. Wenn er wirklich hätte geschnappt werden sollen, hätte es seiner Meinung nach längst passiert sein müssen. Offenbar war noch niemand auf die Idee gekommen, eins und eins zusammenzuzählen.
    Doch laut Nancy war im Büro mit einem Mal der Teufel los. Sie war zwar nicht im Verteiler, aber die Nachricht hatte sich auch so innerhalb kürzester Zeit in der ganzen Dienststelle verbreitet: Wills Name war auf die Flugsperrliste der Verkehrsaufsichtsbehörde gesetzt worden, und sein Versuch, am LaGuardia einzuchecken, hatte bei etlichen Bundesbehörden für Riesenwirbel gesorgt. Sue Sanchez war in fieberhafte Aktivitäten ausgebrochen – sie saß den ganzen Tag hinter verschlossenen Türen mit den hohen Tieren zusammen, kam nur zwischendurch kurz heraus, um ein paar Befehle zu brüllen, und kostete sämtlichen Mitarbeitern der Dienststelle den letzten Nerv. Nancy war mehrmals gefragt worden, ob sie wisse, was Will vorhabe, hatte aber allem Anschein nach überzeugend die Ahnungslose spielen können. Sue hätte sich beinahe dafür entschuldigt, dass sie Nancy gezwungen hatte, mit Will den Doomsday-Fall zu bearbeiten, und ihr wiederholt versichert, dass ihr daraus kein Nachteil entstünde.
    Will seufzte. »Tja, ich sitze fest. Ich kann nicht fliegen, ich kann kein Auto mieten und keine Kreditkarte benutzen. Und wenn ich in einen Zug oder Bus steige, kriegen sie mich an der Penn Station oder am Port Authority.« Er starrte aus dem Beifahrerfenster. Dann legte er ihr die Hand auf den Oberschenkel und tätschelte ihn spielerisch. »Ich glaube, ich muss mir ein Auto klauen.«
    »Da hast du völlig recht. Du klaust dir ein Auto. Super Idee.« Sie ließ den Motor an und fuhr aus der Parklücke.
    Sie stritten

Weitere Kostenlose Bücher