Die Namen der Toten
bestellte er etwas zu essen.
Zehn Minuten.
Will aß Eier mit Speck. Die Männer am mittleren Tisch trödelten herum.
Um Viertel nach zehn war Will allmählich davon überzeugt, dass Shackleton ihn versetzte. Inzwischen hatte er drei Tassen Kaffee getrunken und stand auf, um zur Herrentoilette zu gehen. Der alte Mann mit dem Gehstock war ebenfalls dort und bewegte sich im Schneckentempo. Als Will fertig war, ging er hinaus und warf dabei einen Blick auf das Schwarze Brett neben dem Münztelefon. Es war der reinste Papierflickenteppich, übersät mit Visitenkarten, Dienstleistungsangeboten und Handzetteln, auf denen Wohnungen und entlaufene Katzen gesucht wurden. Er hatte das Brett schon zuvor beiläufig wahrgenommen, aber nicht richtig hingesehen.
Sie hing direkt vor seiner Nase!
Eine Karte, 10,5 mal 14,5 Zentimeter, so groß wie eine Postkarte.
Ein von Hand gezeichneter Sarg, der Doomsday-Sarg, und die Worte: Bev Hills Hotel, Bung 7.
Will handelte sofort.
Er schnappte sich die Karte und stürmte durch die Hintertür auf die Gasse.
Frazier reagierte vor seinen Männern in dem Lokal. »Er haut ab! Verdammt, er haut ab!«
Die Männer sprangen auf, um die Verfolgung aufzunehmen, wurden aber von dem alten Mann aufgehalten, der aus der Toilette kam und ihnen den Weg durch den Flur versperrte. Die Videoaufnahme war jetzt stark verzerrt, weil die Kamera auf und ab hüpfte, aber Frazier erfasste ein Bild des alten Mannes und brüllte: »Schneller! Er entkommt!«
DeCorso packte den Mann mit beiden Händen, hob ihn hoch und stellte ihn wieder in die Herrentoilette, während seine Leute zur Tür rannten. Als sie auf die Gasse kamen, war weit und breit niemand zu sehen. Auf DeCorsos Befehl wandten sich zwei nach rechts, zwei nach links.
Hektisch suchten sie die Gasse ab, rannten durch Geschäfte und Gebäude am Beverly Boulevard und dem Canon Drive und spähten unter parkende Autos. Frazier schrie so laut in den Ohrhörer, dass DeCorso schließlich sagte: »Malcolm, beruhigen Sie sich. Bei dem Gebrüll kann ich nicht arbeiten.«
Will versteckte sich in einer Toilettenkabine im Via Veneto Hair Salon, eine Tür neben dem Diner. Er blieb über zehn Minuten, stand mit gezogener Waffe auf dem Rand der Toilettenschüssel. Kurz nach ihm trat jemand ein, wusch sich aber nur die Hände und ging wieder. Er atmete tief durch und verharrte noch etwas in seiner unbequemen Stellung.
Allerdings konnte er nicht den ganzen Tag dort bleiben, und irgendwann wollte vermutlich jemand die Toilette benutzen. Also schlenderte er in den Salon, in dem ein halbes Dutzend hübsche Friseurinnen plaudernd ihre Kundinnen bedienten. Offenbar war es ein reiner Damensalon, und er war hier fehl am Platz.
»Hallo!«, sagte eine der Friseurinnen überrascht. Ihr blondes Haar war streichholzkurz geschnitten, und sie trug einen engen Ultraminirock über erdbeerroten Leggings. »Ich habe Sie gar nicht hereinkommen sehen.«
»Bedienen Sie auch ohne Voranmeldung?«, fragte Will.
»Normalerweise nicht«, sagte die junge Frau, aber der Mann gefiel ihr, und sie überlegte, ob er vielleicht berühmt war. »Kenne ich Sie?«, fragte sie.
»Noch nicht, aber wenn Sie mir die Haare schneiden, lernen Sie mich kennen«, versetzte er. »Machen Sie hier auch Herrenschnitte?«
Sie war hingerissen. »Sie bediene ich persönlich«, gurrte sie. »Ich hatte sowieso eine Absage.«
»Ich möchte nicht am Fenster sitzen, und ich möchte, dass Sie sich Zeit lassen. Ich hab’s nicht eilig.«
»Sie sind ja ziemlich anspruchsvoll, was?«, sagte sie lachend. »Also, bei mir sind Sie in besten Händen, das kann ich Ihnen versichern! Setzen Sie sich dorthin, dann bringe ich Ihnen erst mal eine Tasse Kaffee oder Tee.«
Eine Stunde später hatte Will eine anständige Frisur, manikürte Hände, die Telefonnummer des Mädchens und seine Freiheit. Er ließ sich ein Taxi rufen, und als es vor dem Salon ankam, gab er der Friseurin ein dickes Trinkgeld, sprang auf den Rücksitz des Taxis und ließ sich tief in die Polster sinken. Als der Wagen losfuhr, hatte er das Gefühl, noch einmal davongekommen zu sein. Er zerriss den Zettel mit der Telefonnummer und ließ die Fetzen aus dem Fenster fliegen. Das musste er Nancy erzählen, immerhin war es ein Beweis für seine ernsten Absichten.
Bungalow Nummer 7 hatte eine pfirsichfarbene Tür. Will klingelte. Am Türgriff hing ein Bitte-nicht-stören-Schild, und auf der Schwelle lag die Samstagszeitung. Er strich mit der rechten
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