Die Namen der Toten
hier vorgefallen ist.«
Ihr Gesicht lief rot an, sodass ihre Wangen noch voller wirkten. Die Röte breitete sich über ihren Hals aus und verschwand unter dem Kragen ihrer weißen Bluse. Sie schluckte und leckte sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Dann fing sie langsam an zu sprechen und wurde schneller, während sie ihre Eindrücke verarbeitete. »Also, der Mörder war vermutlich vorher schon mal hier, nicht unbedingt in der Wohnung, aber in der Nähe des Hauses. Das Gitter an einem der Küchenfenster wurde gelockert. Ich müsste mir die Sache genauer ansehen, aber ich gehe jede Wette ein, dass der Fensterrahmen morsch ist. Aber selbst wenn er sich in der Nebengasse versteckt hätte, wäre er nicht das Risiko eingegangen, die Sache in einer einzigen Nacht durchzuziehen, nicht, wenn er das Datum auf der Postkarte einhalten wollte. Er kam also letzte Nacht wieder und montierte von der Gasse aus das Gitter endgültig ab. Dann zerschnitt er mit einem Glasschneider die Fensterscheibe und löste von außen den Riegel. Er hat von draußen Schmutz hereingeschleppt und auf dem Boden in der Küche und im Flur hinterlassen, außerdem hier und dort.«
Sie deutete auf zwei Flecken auf dem Teppichboden im Schlafzimmer, auf einem davon stand Chapman. Er trat zurück, als wäre die Stelle radioaktiv verseucht. »Sie muss etwas gehört haben, weil sie sich aufgesetzt hat und ihre Hausschuhe anziehen wollte. Ehe sie so weit war, kam er ins Zimmer und gab aus nächster Nähe einen Schuss ab, ins linke Ohr. Sieht nach einem kleinen Kaliber aus, vermutlich eine Zweiundzwanziger. Die Kugel steckt noch im Schädel, keine Austrittswunde. Ich glaube nicht, dass es zu einem sexuellen Übergriff kam, aber das müssen wir überprüfen. Außerdem müssen wir feststellen, ob etwas gestohlen wurde. Die Wohnung wurde nicht durchwühlt, aber ich sehe nirgendwo eine Handtasche. Wahrscheinlich ist er auf dem gleichen Weg verschwunden, auf dem er gekommen ist.« Sie hielt inne und legte die Stirn in Falten. »Das wär’s. So ist es meiner Meinung nach abgelaufen.«
Will schaute sie stirnrunzelnd an, ließ sie ein paar Sekunden lang schmoren und sagte dann: »Ja, ganz meine Meinung.« Nancy sah aus, als hätte sie gerade eine Zwei in Rechtschreibung bekommen, und blickte stolz auf ihre flachen Schuhe. »Stimmen Sie meiner Partnerin zu, Detective?«
Chapman zuckte die Achseln. »Könnte gut sein. Ja, eine zweiundzwanziger Pistole, ich bin sicher, dass das die Tatwaffe war.«
Der Typ hat nicht den geringsten Schimmer, dachte Will. »Wissen wir, ob irgendwas gestohlen wurde?«
»Die Tochter sagt, dass die Handtasche fehlt. Sie hat das Opfer heute Morgen gefunden. Die Karte lag bei der anderen Post auf dem Küchentisch.«
Will deutete auf die Schenkel der alten Frau. »Wurde sie sexuell missbraucht?«
»Ich habe keine Ahnung. Wenn Sie den Polizeiarzt nicht rausgeworfen hätten, wüssten wir’s vielleicht«, knurrte Chapman.
Will ging in die Hocke und hob mit seinem Stift das Nachthemd an. Er spähte unter den Saum und sah die unberührte Unterwäsche. »Sieht nicht so aus«, sagte er. »Werfen wir einen Blick auf die Postkarte.«
Will musterte sorgfältig Vorder-und Rückseite und reichte die Karte dann an Nancy weiter. »Ist das der gleiche Schrifttyp wie bei den anderen?«
Sie nickte bestätigend.
»Also Courier, zwölf Punkt.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte sie beeindruckt.
»Ich bin Schrifttypenspezialist«, versetzte Will. Er las den Namen vor. »Ida Gabriela Santiago.«
Chapman wies darauf hin, dass sie nach Aussage der Tochter den zweiten Vornamen nie benutzt hatte.
Will stand auf und reckte sich. »Okay, wir sind durch«, sagte er. »Lassen Sie die Gegend absperren, bis das Spurensicherungsteam vom FBI eintrifft. Wir melden uns, wenn wir noch irgendwas brauchen.«
»Haben Sie irgendwelche Hinweise auf diesen Irren?«, fragte Chapman.
Wills Handy klingelte in seiner Jackentasche und spielte die denkbar unpassende Beethoven-Melodie Ode an die Freude . Während er nach dem Handy griff, erwiderte er: »Null, aber ich bin erst heute in den Fall eingestiegen … Piper hier.«
Er hörte zu und schüttelte ein paar Mal den Kopf, dann sagte er zu dem Anrufer: »Wenn, dann kommt’s gleich doppelt hart. Sagen Sie mal, Mueller ist nicht zufällig durch ein Wunder vom Krankenbett aufgestanden, oder? Schade.« Er beendete das Gespräch. »Bereit für eine lange Nacht, Partnerin?«
Nancy nickte wie eine Wackelkopfpuppe. Die
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