Die Namen der Toten
Brusttasche seines Hemdes.
Dann ließ er das Taxi vor der Central Library warten, einem weißen Art-déco-Palast nahe dem Pershing Square im Zentrum von L.A. Nachdem er sich kurz bei der Auskunft informiert hatte, bewegte er sich zwischen den Regalen hindurch tief ins Innere des Gebäudes. Im Neonlicht eines Kellerraums, in den kaum je ein Besucher kam, dachte er an den verrückten Donny und dankte ihm insgeheim dafür, dass er ihn auf dieses ideale Versteck gebracht hatte.
Vor Will stand ein ganzes Regal voll dicker, jahrzehntealter und dementsprechend eingestaubter Bände mit alten Gesetzesverordnungen des Los Angeles County. Nachdem er sich noch einmal davon überzeugt hatte, dass niemand in der Nähe war, stellte sich Will auf die Zehenspitzen und zog den Band mit der Jahreszahl 1947 heraus, ein dickes Buch, das schwer in seiner Hand lag.
1947. Ein kleiner Scherz an einem schlimmen Tag. Das Buch roch alt und unbenutzt, und wenn nicht irgendetwas furchtbar schiefging, würde es nach ihm vermutlich eine halbe Ewigkeit niemand in die Hand nehmen. Er schlug es etwa in der Mitte auf. Dabei bog sich der Rücken des Einbands durch und bildete einen Hohlraum, in den Will den Memorystick steckte. Als er den Wälzer zuklappte, dehnte sich der Einband und knarrte ganz leise, doch der kleine Speicherstick war von außen nicht zu bemerken.
Danach ließ sich Will zum nächsten Postamt bringen, wo er eine Marke für den Brief besorgte und ihn in einen Expressbriefkasten warf. Er war an Jim Zeckendorf unter der Anschrift seiner Anwaltskanzlei in Boston adressiert. In dem Umschlag steckte ein zweiter Umschlag. Der Brief an Zeckendorf lautete folgendermaßen:
» Jim , tut mir leid , dass ich Dich in eine komplizierte Sache mit hineinziehe , aber ich brauche Deine Hilfe . Wenn ich mich in nächster Zeit einmal nicht am ersten Dienstag jeden Monats bei Dir gemeldet habe , bitte ich Dich , den zweiten Umschlag zu öffnen und dich an die Anweisungen zu halten .«
Wieder im Taxi, sagte er zu dem Fahrer: »Okay, letzte Station. Bringen Sie mich zu Grauman’s Chinese Theater.«
»Sie kommen mir nicht wie der übliche Tourist vor, es könnte sein, dass es Ihnen dort nicht gefällt«, sagte der Fahrer.
»Ich mag es, wenn viel los ist.«
Auf dem Gehsteig drängten sich Touristen und Straßenhändler. Will stand auf der Zementplatte mit der Inschrift »To Sid, Many Happy Trails, Roy Rogers and Trigger«, dazu Hand-, Fuß- und Hufeisenabdrücke. Er holte das Handy aus der Hosentasche und schaltete es ein.
Sie meldete sich so schnell, als hätte sie das Telefon in der Hand gehabt und darauf gewartet, dass es klingelte.
»Endlich, Will, ist mit dir alles in Ordnung?«
»Ich hatte einen höllischen Tag, Nancy. Wie geht’s dir?«
»Ich bin krank vor Angst. Hast du ihn gefunden?«
»Ja, aber ich kann nicht reden. Wir werden überwacht.«
»Bist du in Sicherheit?«
»Na ja, so könnte man es auch sagen. Mir wird schon nichts passieren.«
»Was kann ich tun?«
»Warte auf mich und sag mir nochmal, dass du mich liebst.«
»Ich liebe dich.«
Er unterbrach die Verbindung und ließ sich von der Auskunft eine Nummer geben. Dann ließ er sich hartnäckig immer weiter verbinden, bis er endlich fast am Ziel war. Er unterbrach den beflissenen Mitarbeiter, der das Gespräch angenommen hatte. »Also, jetzt hören Sie mal genau zu, hier spricht Special Agent Will Piper vom FBI. Sagen Sie dem Staatssekretär für Marineangelegenheiten, dass ich am Apparat bin. Sagen Sie ihm, dass ich gerade vorhin bei Mark Shackleton war. Sagen Sie ihm, dass ich über Area 51 Bescheid weiß. Und dann sagen Sie ihm, dass er noch genau eine Minute Zeit hat, um ans Telefon zu gehen.«
8. Januar 1297 – Isle of Wight, England
Besorgt kniete sich Baldwin, der Abt von Vectis, zu Füßen der heiligsten Grabstätte des Klosters zum Gebet nieder.
Die Grabplatte war zwischen den Säulen, die das Kirchenschiff von den Seitengängen trennten, in den Steinboden eingelassen. Die glatten, flachen Steine waren eiskalt, und Baldwin spürte trotz des Messgewands, wie seine Knie taub wurden. Dennoch richtete er sich nicht auf, sondern konzentrierte sich auf sein wehmütiges Gebet, das er über der Ruhestätte von St. Josephus, dem Schutzheiligen von Vectis Abbey, verrichtete.
Das Grabmal des Josephus war ein bevorzugter Ort für Gebete und Meditation in der Kathedrale von Vectis, dem prachtvollen Bau mit dem hohen Turm, der anstelle der alten Klosterkirche
Weitere Kostenlose Bücher