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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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wären Sie beinahe gefeuert worden. Gut gemacht, Will. Falls ich es mal vergesse, erinnern Sie mich daran, dass ich niemals einen beruflichen Rat von Ihnen annehme.«
    Clive schnarchte leise und regte sich kurz. Beide verstummten und starrten sich wütend an.
    Will war nicht überrascht, dass sie über seine bewegte Vergangenheit Bescheid wusste. Das war schließlich nicht unbedingt ein Staatsgeheimnis, aber er war beeindruckt, dass sie so schnell darauf zu sprechen gekommen war. Normalerweise dauerte es länger, bis er eine Frau zum Explodieren brachte. Sie hatte Mumm, das musste man ihr lassen.
    Will hatte sich vor sechs Jahren nach New York versetzen lassen. Hal Sheridan hatte ihn endgültig aus dem Nest geworfen, nachdem er die Personalabteilung in Washington davon überzeugt hatte, dass Will Führungsaufgaben übernehmen konnte. In der New Yorker Dienststelle hielt man ihn für einen akzeptablen Kandidaten, um die Leitung der Abteilung für schweren Diebstahl und Gewaltverbrechen zu übernehmen. Er wurde zu einem Fortbildungskurs für Führungskräfte nach Quantico geschickt, wo man ihm alles beibrachte, was ein Abteilungsleiter des FBI heutzutage wissen musste. Selbstverständlich war ihm klar gewesen, dass er nicht mit dem Verwaltungspersonal vögeln sollte, übrigens auch nicht mit dem aus anderen Abteilungen, aber in Quantico hatte man eben kein Bild von Rita Mather in den Lehrbüchern abgedruckt.
    Rita war so sinnlich, so hinreißend und verlockend und noch dazu angeblich sensationell im Bett – er konnte einfach nicht widerstehen. Einen Monat lang hatten sie ein Verhältnis. Dann stimmte ihr Boss bei der Abteilung für Wirtschaftskriminalität einer Gehaltserhöhung nicht zu, die sie erwartet hatte, und sie bat Will, sich für sie einzusetzen. Als er sich sträubte, raste sie vor Wut und verriet ihn. Es folgte ein gewaltiges Chaos: Disziplinarverfahren, jede Menge Anwälte, die Personalabteilung in Aufruhr. Um ein Haar wäre Will entlassen worden, doch dann schaltete sich Hal Sheridan ein und handelte in aller Stille eine Degradierung aus, damit Will seine zwanzig Dienstjahre für den Pensionsanspruch vollbekam. An einem Freitag hatte ihm Sue Sanchez noch Bericht erstattet, am Montag darauf erstattete er ihr Bericht.
    Natürlich hatte er über eine Kündigung nachgedacht, aber da war immer noch die Pension – sie war zum Greifen nah, und er wollte sie unbedingt haben. Also fand er sich mit seinem Schicksal ab, nahm an dem obligatorischen Kurs teil, der bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz vorgeschrieben war, machte seine Arbeit einigermaßen und trank ein bisschen mehr.
    Ehe Will etwas erwidern konnte, rührte sich Clive erneut und schlug die Augen auf. Einen Moment lang wusste er nicht, wo er war, dann fiel es ihm wieder ein. Er schmatzte mit trockenen Lippen und warf einen nervösen Blick auf die alte Cartier an seinem Handgelenk. »Tja, noch bin ich nicht tot. Darf ich allein pinkeln gehen, Chef, ohne bundespolizeilichen Beistand?«
    »Meinetwegen.«
    Clive bemerkte, wie aufgebracht Nancy war. »Alles in Ordnung, Miss FBI? Sie sehen aus, als ob Sie ziemlich sauer wären. Sie sind doch nicht sauer auf mich, oder?«
    »Natürlich nicht.«
    »Dann bleibt ja nur noch der Chef übrig.«
    Clive richtete sich auf und streckte mühsam die arthritischen Knie.
    Er ging zwei Schritte und blieb dann jäh stehen. Verwirrung und Schrecken spiegelten sich in seiner Miene.
    »O Gott!«
    Will fuhr herum und suchte den Raum ab. Was war passiert?
    Im Bruchteil einer Sekunde war klar, dass kein Schuss gefallen war.
    Kein zersplittertes Glas, kein dumpfer Schlag beim Auftreffen der Kugel, kein blutroter Sprühnebel.
    »Will!«, rief Nancy, als sie sah, wie Clive das Gleichgewicht verlor und vornüberkippte.
    Er fiel so hart, dass sein Nasenbein beim Aufprall brach und Blut auf den Boden spritzte. Es bildete ein abstraktes Muster, wie auf einem Gemälde von Jackson Pollock. Wäre es auf einer Leinwand gelandet, hätte Clive das Bild vermutlich mit Freuden in seine Sammlung aufgenommen.

Sieben Monate früher – Beverly Hills, Kalifornien
    Peter Benedict bestaunte sein Spiegelbild, das von den optischen Effekten des Glases zerhackt und zerstückelt wurde. Die Fassade des Gebäudes bildete eine konkave Fläche, die zehn Stockwerke hoch über dem Wiltshire Boulevard aufragte und einen vom Gehsteig aus förmlich in die zweigeschossige Scheibe der Lobby hineinsog. Dort befand sich ein schmuckloser, mit Steinplatten

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