Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
Vom Netzwerk:
jetzt würde er noch länger werden. Womöglich bekam er noch stundenlang nichts zu trinken, und wenn er etwas hasste, dann war es Enthaltsamkeit. Andererseits wäre es natürlich großartig, wenn er den Fall hier und heute abschließen, in Ruhestand gehen und sich künftig regelmäßig nachmittags um halb sechs auf einen Barhocker pflanzen könnte. Bei diesem Gedanken wurde er einen Schritt schneller, sodass Nancy hinterhertraben musste. »Fertig zum Loslegen?«, rief er ihr zu.
    Bevor sie antworten konnte, erkannte ihn eine ziemlich attraktive Reporterin, die bei der Pressekonferenz gewesen war, und rief ihrem Kameramann zu: »Rechts von dir! Der Rattenfänger!« Die Videokamera schwang in seine Richtung. »Agent Piper! Können Sie bestätigen, dass der Doomsday-Killer gefasst wurde?« Sofort kamen sämtliche Aufnahmeteams angestürmt, und innerhalb von Sekunden sahen sich Will und Nancy von einer drängelnden Meute umringt.
    »Gehen Sie einfach weiter«, zischte er, worauf sich Nancy an ihn hängte und ihn einen Weg durchs Gedränge pflügen ließ.
    Sobald sie das Haus betreten hatten, hatten sie den Tatort vor sich. Das vordere Zimmer war ein einziges blutiges Chaos. Es war mit Absperrband gesichert, sodass Will und Nancy lediglich durch die Tür spähen konnten, als betrachteten sie ein abgeschirmtes Ausstellungsstück in einem Museum. Die Leiche eines schlanken Mannes mit weitaufgerissenen Augen lag halb auf, halb neben einem gelben Zweisitzer. Der zertrümmerte Kopf ruhte auf der Armlehne, zwischen den braunen Haaren klaffte eine Kopfwunde, und in der halbmondförmigen Öffnung schimmerte Hirnmasse in den letzten goldenen Strahlen der Sonne. Das Gesicht beziehungsweise das, was davon übrig war, bestand aus einem verquollenen Brei, aus dem elfenbeinfarbene Knochen-und Knorpelsplitter ragten. Beide Arme waren gebrochen und standen in unnatürlichen Winkeln ab.
    Will las das Zimmer wie ein Manuskript – überall an der Wand rote Blutspritzer, Zähne, die auf dem Teppichboden verstreut waren wie Popcorn nach einer Party – und kam zu dem Schluss, dass der Mann zwar auf dem Sofa gestorben, aber nicht dort überfallen worden war. Er hatte in der Nähe der Tür gestanden, als es vom ersten Schlag mit einem stumpfen Gegenstand erwischt wurde, der von unten nach oben geführt worden war, seinen Schädel gestreift und Blut an die Decke geschleudert hatte. Danach war er wieder und wieder getroffen worden, während er herumfuhr und sich vergeblich bemühte, die Schläge abzuwehren. Dieser Mann war keinen leichten Tod gestorben. Will versuchte den Blick zu deuten. Diese weitaufgerissenen Augen hatte er schon unzählige Male gesehen. Was hatte das Opfer im letzten Moment empfunden? Angst? Wut? Resignation?
    Nancy fiel ein anderes Detail auf. »Sehen Sie das?«, fragte sie. »Auf dem Schreibtisch. Ich glaube, das ist die Postkarte.«
    Der Einsatzleiter vom Revier war noch jung, ein geschniegelter Captain namens Brian Murphy mit tadellos gebügeltem blauen Hemd, der sich mit stolzgeschwellter Brust vorstellte. Das war ein Fall, der seine gesamte Karriere beeinflussen konnte. Das Opfer, ein gewisser John William Pepperdine, wäre mit Sicherheit ziemlich sauer geworden, wenn es mitbekommen hätte, wie überschwänglich dieser Polizist auf seinen Tod reagierte.
    Auf der Fahrt hatten sich Will und Nancy noch Gedanken darüber gemacht, dass das 45. Revier die Spuren an einem weiteren Tatort zertrampeln könnte, aber das wäre nicht nötig gewesen, denn hier hatte Murphy persönlich die Verantwortung übernommen. Der fette, ungepflegte Detective Chapman war nirgendwo zu sehen. Will beglückwünschte den Captain zu seiner Umsicht, was in etwa genauso ankam, als hätte man einen Köter gestreichelt und ihm »braver Hund« zugeflüstert. Murphy war jetzt sein Freund fürs Leben. Aufgeregt berichtete er, dass seine Männer auf den Notruf eines Nachbarn reagiert hätten, der laute Schreie gehört habe. Dann hatten sie die Leiche und die Postkarte gefunden. Anschließend hatte einer seiner Sergeants den mit Blut besudelten Täter, Luis Camacho, hinter dem Öltank im Keller entdeckt. Der Typ wollte auf der Stelle gestehen, worauf Murphy so geistesgegenwärtig gewesen war, eine Videokamera mitlaufen zu lassen, während er ihm seine Rechte vorlas und Camacho mit monotoner Stimme seine Aussage vortrug. Es war, wie Murphy verächtlich erklärte, eine Beziehungstat unter Schwulen.
    Will hörte ruhig zu, aber Nancy wurde ungeduldig. »Hat er

Weitere Kostenlose Bücher