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Die Namen der Toten

Die Namen der Toten

Titel: Die Namen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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doch er stand bei Josephus in der Pflicht und konnte nicht ablehnen.
    Das schwere, schwitzende Tier zwischen seinen Schenkeln spendete ihm an diesem kalten Dezembertag wenigstens ein bisschen Wärme. Ubertus war kein guter Reiter. Steinmetze waren langsame Fahrten in Ochsenkarren gewöhnt. Mit festem Griff umschloss er die Zügel, drückte die Knie an die Flanken des Tieres und hielt sich, so gut es ging, auf seinem Rücken. Das Pferd war ein gesundes Reittier, das das Kloster für ebensolche Zwecke in einem Stall auf dem Festland stehen hatte. Ein Fährmann hatte Ubertus vom Kiesstrand von Vectis aus zur Küste von Wessex gerudert. Josephus hatte ihn angewiesen, sich zu eilen und binnen zweier Tage zurückzukehren, was bedeutete, dass er das Pferd zu leichtem Galopp antreiben musste.
    Als sich der Tag seinem Ende zuneigte, wurde der Himmel schiefergrau, ein ähnlicher Farbton, wie er die Klippen an der Küste zierte. Schnell ritt Ubertus durch die frostige Landschaft, zwischen brachliegenden Feldern, niedrigen Steinmauern und kleinen Ortschaften hindurch, die seiner ähnelten. Ab und zu begegnete er Bauern mit stumpfem Blick, die zu Fuß ihres Weges zogen oder auf trägen Maultieren ritten. Er achtete auf Diebe, aber seine einzigen Besitztümer waren das Pferd und ein paar kleine Münzen, die Josephus ihm für die Reise mitgegeben hatte.
    Kurz vor Sonnenuntergang traf er in Tisbury ein. Es war eine wohlhabende Stadt mit mehreren großen Holzhäusern und einer Vielzahl schmucker Hütten, die eine breite Straße säumten. Auf einer grünen Wiese in der Mitte des Ortes drängten sich Schafe im Zwielicht. Er ritt an einer kleinen Holzkirche vorbei, die kalt und düster am Rand der Weide stand. Daneben lag ein kleiner Friedhof mit einem frisch ausgehobenen Grab. Rasch bekreuzigte er sich. Die Luft roch nach dem Rauch von Herdfeuern, gebratenem Fleisch und verbranntem Fett, ein köstlicher Duft, der Ubertus vom Anblick des Grabhügels ablenkte.
    Heute war Markttag gewesen, und überall standen noch Karren und Buden auf dem Platz, deren Besitzer in der Taverne saßen, wo sie tranken und würfelten. Ubertus stieg an der Tür zur Taverne vom Pferd. Ein Junge bemerkte ihn und bot an, die Zügel zu halten. Für eine seiner Münzen erklärte sich der Junge außerdem bereit, das Pferd zu einem Eimer mit Hafer und einem Wassertrog zu führen.
    Ubertus trat in die warme, gutbesuchte Taverne, und sofort schlugen ihm trunkenes Stimmengewirr und der Geruch nach abgestandenem Ale, schwitzenden Leibern und Urin entgegen. Er blieb vor dem lodernden Torffeuer stehen, bis seine verkrampften Hände wieder beweglich waren, und bestellte sich mit seinem schweren italienischen Akzent einen Krug Wein. Da Tisbury ein Marktflecken war, waren die Menschen hier an Fremde gewöhnt und empfingen Ubertus mit fröhlicher Neugier. Eine Gruppe Männer rief ihn an ihren Tisch, und nach kurzer Zeit war er in ein angeregtes Gespräch über seine Herkunft und den Zweck seines Besuchs in der Stadt verwickelt.
    In knapp einer Stunde leerte Ubertus drei Krüge Wein und erfuhr alles, was er hatte herausfinden sollen.
     
    Schwester Magdalena ging gewöhnlich gemessenen Schrittes über das Klostergelände, nicht zu langsam, denn das wäre Zeitvergeudung gewesen, aber auch nicht zu schnell, da sie damit den Eindruck erwecken würde, es gäbe etwas Wichtigeres auf Erden als die Besinnung auf Gott.
    Heute aber rannte sie und hielt dabei etwas in der Hand.
    Nach ein paar wärmeren Tagen lag nur noch eine dünne Schneedecke, durch die sich ausgetretene Wege zogen, auf denen es nicht mehr glatt war.
    Josephus und Paulinus saßen schweigend im Skriptorium. Sie hatten die Kopisten weggeschickt, um sich ungestört mit Ubertus treffen zu können, der durchgefroren und erschöpft von seinem Auftrag zurückgekehrt war.
    Ubertus war mittlerweile schon wieder fort. Sie hatten ihn mit einem grimmigen Dank und ihrem Segen ins Dorf zurückgeschickt.
    Sein Bericht war einfach und ernüchternd gewesen:
    Am 18. Tag des Monats Dezember, also drei Tage zuvor, hatte Eanfled, die Frau des Gerbers Wuffa, in der Stadt Tisbury ein Kind geboren.
    Sein Name war Sigbert.
    Zwar wollte es keiner von beiden zugeben, aber die Nachricht erschreckte sie nicht. Sie hatten fast erwartet, genau das zu hören, denn wenn ein stummer Junge, der von einer toten Mutter geboren worden war, ohne Anleitung Namen und Daten schreiben konnte, musste man auf alles gefasst sein.
    Als Ubertus gegangen war, hatte

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