Die namenlose Schoene
manchmal beschämend.”
„Ich glaube, Emma, Sie waren früher sehr unabhängig. Ich sage Ihnen etwas. Warten Sie noch einen Monat. Stellen sich bis dahin keine weiteren Erinnerungen mehr ein, nehme ich Kontakt zu einem in Hypnotherapie erfahrenen Psychologen auf. Einverstanden?”
Noch ein Monat in Tuckers Haus, wenn sie sich an nichts erinnerte und herausfand, wer sie war! Doch sie hatte im Moment keine andere Wahl.
„Also gut, noch einen Monat, aber dann gehe ich zur Hypnotherapie.”
Emma kam mit bedrückter Miene ins Wartezimmer und sprach auch sichtlich beunruhigt mit der Angestellten an der Anmeldung. Doch jetzt saßen auch andere Leute im Wartezimmer, vor denen Tucker nicht mit ihr sprechen wollte. Sie griff entschlossen nach ihrem Mantel und wartete nicht, dass Tucker ihr hineinhalf. Und sie verließ auch schon die Praxis, bevor er die Jacke geschlossen hatte.
Er holte sie an der Haustür ein. „Emma, stimmt etwas nicht?”
„Nein, alles stimmt. Alles ist einfach wundervoll. Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich weiß nicht, wo ich eigentlich leben sollte. Ich weiß mein Geburtsdatum nicht. Und zu allem Überfluss meint Dr. Weisensale, dass ich mich vielleicht gar nicht daran erinnern möchte. Falls ich mich an meine Vergangenheit nicht erinnern will, wirft das doch die Frage auf, wie diese Vergangenheit wohl ausgesehen hat.”
„Ganz sicher anständig und ehrenhaft”, sagte Tucker beruhigend.
„Anständig und ehrenhaft? Ich finde, dass meine Gegenwart nicht so ist.
Tante Gertie hat mich bei sich aufgenommen. Jetzt haben Sie das Gleiche gemacht. Dr. Weisensale hat seine Assistentin angewiesen, für heute nichts zu berechnen. Für ihn bin ich ein Wohltätigkeitsfall. Das bin ich aber nicht, Tucker! Ich will arbeiten! Ich will…” Sie biss sich auf die Unterlippe.
Tucker legte ihr die Hände auf die Schultern und blickte ihr in die schönen grünen Augen, in denen er Tränen entdeckte. „Ich weiß, wie schwer das alles für Sie ist, und ich würde Ihnen gern mehr helfen.”
„Ich will aber nicht, dass Sie mir noch mehr helfen. Ich will mir selbst helfen. Ich habe mich wegen Hypnose erkundigt, aber Dr. Weisensale meint, wir sollten noch einen Monat warten. Einen ganzen Monat, Tucker!”
„Ist es denn bei mir so schlimm?” scherzte er und stellte sich vor, noch einen Monat mit ihr unter demselben Dach zu wohnen … Schlafzimmer an Schlafzimmer. Sie seufzte und lächelte matt. „Nein, natürlich nicht.”
Er wollte sie in die Arme nehmen, sie beschützen und sie wieder küssen. Doch er sagte nur: „Sie sollten sich ablenken. Wie wäre es, wenn wir etwas im Diner essen und dann ins Kino gehen?”
„Ins Kino?”
„Ja. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal in einem Film war. Und Sie wissen es auch nicht”, fügte er lächelnd hinzu.
Zuerst sah sie ihn verblüfft an, doch dann lachte sie. „Das stimmt! Also gut, Sheriff Malone, wie Sie wollen. Essen und Kino. Das sollte ausreichen, um mich abzulenken.”
Ihre Augen leuchteten, und sie lächelte reizend. Rasch öffnete er die Wagentür, ließ sie einsteigen und fragte sich, worauf er sich da eingelassen hatte.
Wie immer war in Vern’s Diner viel los. Tucker und Emma blieben kurz an der Tür stehen und sahen sich nach einem leeren Tisch um. Von allen Seiten wurden sie gemustert.
Eine Frau beugte sich zu ihrem Begleiter und fragte: „Ist das nicht die Frau, die nicht weiß, wer sie ist?”
Tucker war sicher, dass auch Emma es gehört hatte. „Vielleicht sollten wir zu Chez Stark gehen. Dort ist es ruhiger.”
Chez Stark war nicht nur ruhiger, sondern auch wesentlich teurer. In dem Restaurant herrschte eine intime Atmosphäre, die Tucker gern vermeiden wollte, doch Emma sollte sich nicht unbehaglich fühlen.
„Möchten Sie wirklich gehen?” fragte sie. „Wenn über mich geredet wird, hat das nichts mit Ihnen zu tun.”
„Gerede stört mich nicht.”
Emma deutete zu einer Nische, die soeben frei wurde. „Dann nehmen wir uns den Tisch, bevor uns jemand zuvorkommt.”
Eine Frau wie Emma hatte Tucker noch nie kennen gelernt. Sie war absolut feminin, besaß jedoch eine Stärke, die er bewunderte. Sie unterschied sich völlig von Denise, an die er jetzt nicht denken wollte.
Sie hatten den Tisch fast erreicht, als Tucker Ben Crowe, dessen Frau Gwen und Nathan entdeckte, den neunjährigen Jungen, den die beiden adoptieren wollten.
Emma blieb lächelnd bei Gwen stehen. „Hallo. Wie fühlen Sie sich?”
„Massig, aber so ist
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