Die Namensvetterin: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Fenster offen? Ein Geruch?«
Frau Trug dachte lange nach. Maria war sich nicht sicher, ob diese Fragen überhaupt Sinn hatten. Denn irgendwann musste die Dame ja auch einmal geschlafen haben. Sie selbst schien diese Möglichkeit jedoch überhaupt nicht in Betracht zu ziehen.
»Nein. Keine Geräusche. Und es war alles so wie immer.«
»Und die Stein, wenn sie wieder einmal auf Lepschi ging, hat sie nicht einmal angeklingelt? Damit Sie wissen, dass Sie ihren Hund Gassi bringen müssen?«
»Nein, sie wusste, dass ich sie höre.«
Phillip warf Maria einen ungläubigen Blick zu, der auch signalisierte: überdreht. Völlig überdreht. Pro forma kritzelte er in sein Notizbuch. Maria nahm die Hand der Dame in beide Hände.
»Ich danke Ihnen. Sie haben uns wirklich sehr geholfen.«
Sie wandte sich zum Gehen. Phillip folgte ihr auf dem Fuß.
»Vanille.«
Maria stoppte.
»Was meinen Sie?«
»Sie haben Geruch erwähnt. Es roch in der Wohnung nach Vanille. Ich habe mich sehr gewundert, denn Vanillekipferl bäckt man doch erst zu Weihnachten.«
»Es roch nach Vanille?«
»Och, ja, aber nur ganz leicht. Wissen Sie, ich habe noch immer einen sehr guten Geruchssinn. Mein Mann sagte schon immer, dass ich eigentlich …«
»Können Sie sich das erklären?«
»Nein.«
Maria musterte ihre Schuhspitzen, blickte dann den ebenfalls ratlosen Phillip an und beschloss erneut, zu gehen.
»Außer … sie hat einen echten Pudding gemacht. – Ich wusste gar nicht, dass sie kochen kann.«
Maria ging nochmals zum Bett.
»Frau Trug, ich danke Ihnen, Sie haben uns wirklich sehr geholfen.«
Jetzt fasste die Dame nach Phillips Händen, der in ihrer Nähe stand.
»Versprechen Sie mir, dass Sie diesen bösen Menschen finden, der das getan hat.«
Ihre Stimme begann zu zittern. Phillip drückte ihre Hand.
»Frau Stein war so ein wunderbarer Mensch. Wissen Sie, sie war in Ihrem Alter … und fast so etwas wie eine Tochter für mich. Meine Kinder leben in Tirol. Sie sind jetzt eine eigene Familie, das verstehe ich ja, aber …«
Die alte Dame sprach immer schneller. Phillip sah sie konzentriert an. Sein Gesichtsausdruck gemahnte plötzlich an jenen eines Seelsorgers. Maria war erneut verwundert. Sie spürte bei Phillip Anteilnahme – und zwar echte Anteilnahme.
»… es ist so weit weg. Und die Fahrt mit der Bahn ist für mich sehr anstrengend.«
»Hat sich die Stein also um Sie gekümmert?«
»Och, mehr ich um sie.«
»War sie also nicht für Sie da?«
Die Dame dachte kurz nach. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Ihre Augen begannen zu leuchten, als sähe sie in der Ferne einen wunderschönen Sonnenaufgang oder etwas Ähnliches. Und sie schwieg weiter. Maria dachte schon, das Gespräch wäre wirklich zu anstrengend für die Dame gewesen und sie wäre in eine andere, nur ihr zugängliche Welt gekippt. Da begann sie, erneut ganz sacht Phillips Hände zu streicheln – doch es waren definitiv nicht seine gemeint.
»Wissen Sie … sie war wie ein Schmetterling. Man freut sich einfach, wenn man ihn sieht.«
Die Stille war nur durch das Atmen der Nonne, die inzwischen erschöpft eingeschlafen war, gestört. Maria wagte nicht zu sprechen. Es war ihr, als würde sie einen heiligen Moment stören. Seltsam – dabei ging es hier doch bloß um eine tote Kabarettistin mit vielen Liebhabern. Phillip befreite seine Hände.
»Frau Trug, wir versprechen Ihnen, den Mörder zu finden.«
Maria spürte ein Lachen in sich aufsteigen. Der Moment war so kitschig wie in einem schlechten Film. Was war bloß in Phillip gefahren? Die alte Dame fuhr mit seinen Gefühlen Schlitten. Und sie hatte nicht einmal gewusst, dass er Gefühle hatte. Oder war sie eben Zeuge seiner zehn sentimentalen Minuten pro Jahr geworden und alles war lediglich eine Show? Sie nickten der alten Dame zu und wandten sich zur Tür. Als sie sie öffnen wollten, hielt sie die Stimme der Dame zurück.
»Klug. – Ich heiße Klug.«
Maria warf Phillip einen schnellen Blick zu, doch der flüchtete in diesem Augenblick aus dem Zimmer.
Schweigend trabten sie nebeneinander zum Auto. Maria überlegte, ob sie auf Phillips Nachlässigkeit eingehen sollte. Immerhin war es seine Aufgabe, die Namen der Zeugen und ihre Daten zu registrieren. Sie schielte zu ihm hinüber. Phillip machte sich noch immer ganz geschäftig Notizen über das Gespräch.
»Sie können wohl Ihre eigene Schrift nicht lesen?«
»Ich hatte schon in der Volksschule einen Fleck in
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