Die Namensvetterin: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
dachte sie daran, dass auch ihr einmal so ein Betriebsunfall passieren könnte. Phillip kaute am Kugelschreiber. Er starrte in die Luft, mit einem versteinerten Blick. Maria spürte, dass er, so wie sie selbst, an die Leiche denken musste. Durch die Erzählung von Jasmin war sie plötzlich wieder so real geworden.
»Jasmin, Sie nehmen also an, dass die Stein das Spiel … zumindest zu dem Zeitpunkt, als Sie das alles beobachtet haben … genossen hat?«
»Dieses Arschloch war nicht sonderlich groß. Mir fällt gerade ein, dass er sich einmal von oben über das Gitter, das da ja am Fußende ist, drüberbeugen hat wollen. Da ist er nicht ganz runtergekommen. Dann ist er auf die Seite gegangen. Aber ich hab ihn nie wirklich gesehen. Und er hat einen Hut aufgehabt.«
»Einen Hut? Welche Farbe? Und welche Farbe hatte der Anzug?«
»Schwarz, alles schwarz. Und weißes Hemd, die Manschetten haben rausgeschaut. Und er hat blonde Haare gehabt. Weil da hat so ein mickriges Zopferl rausgeschaut, so eines, wie es der Zappa hat … mein Chef.«
»Na, geht ja.«
Eifrig notierte Phillip das Gehörte. Maria war nun endgültig verwirrt. Dornhelm hatte braune Haare, ja, vielleicht aschblond, aber sicher nicht so blond, dass man es am Abend als blond erkennen konnte. Er war es also nicht gewesen. – Außer vielleicht, er wusste von dem Agreement der Stein mit Moser und hat es bewusst auf Beobachtung angelegt – mit Perücke und so. Was nicht unwahrscheinlich war. Der Fall wurde immer aberwitziger. Entweder war der Dornhelm ein genialer Mörder, oder es spielte noch jemand mit, den sie noch nicht kannten. Phillip war mit den Notizen fertig und strahlte Jasmin wieder an.
»Okay, das haben wir. Vielleicht noch Alter? Hat er sich schnell bewegt, jugendlich oder behäbig?«
»Naja, also er war schlank, keine Muckis und so was, eine Hendlbrust, wie man so sagt, ich mein, so weit man das von hinten sieht. Aber keine Schultern. Ein Zniachtl halt. Und mir ist er nicht alt vorgekommen.«
Phillip notierte wieder eifrig. Maria stand auf und ging zur Balustrade. Sie sah wieder die Leiche auf dem Bett liegen. Wann ist es der Stein klar geworden, dass das alles kein Spiel war? Hat sie vielleicht gehofft, dass der Moser sie sehen würde? Hatte sie vielleicht gehofft, dass er ihr zu Hilfe eilen würde? Hatte sie während der Tortur, während des Todeskampfes, nur nach drüben gestarrt und verzweifelt Mosers Schatten in den Fenstern gesucht? Maria sah, wie die Stein mit der Atemnot kämpfte und mit aller Kraft im Kopf nach Moser schrie. Doch da kam keine Silhouette. Kein Moser. Keine Hilfe.
»Sagen Sie, Jasmin, hat der Moser eigentlich einen Schlüssel zur Wohnung der Stein?«
»Nein, ich glaub nicht. Warum?«
»Nur so.«
Aber er hätte wenigstens die Polizei rufen können – wenn er sie gesehen hätte. Immer ist er am Fenster gehängt, warum dieses Mal nicht? Ja, warum eigentlich? Was kann das schon für eine geniale Nummer gewesen sein, die ihn seinen Liebling vergessen ließ?
»Sagen Sie, Jasmin, warum wollte der Moser das eigentlich nicht sehen?«
»Na … hat er Ihnen das nicht gesagt? Weil ich ein Klistier …«
»Ja, so weit sind wir informiert. Aber Sie werden … diese Praktik ja nicht das erste Mal ausgeübt haben. Und sonst hat der Moser ja auch nichts ausgelassen, was mit der Stein zu tun gehabt hat.«
»Naja, also es hat zum Spiel gehört, er war auch gebunden. Und er wollte zuerst ja auch zuschauen, wie ich es ihm erzählt hab. Aber ich hab’s ihm verboten, das hat’s nur noch gesteigert. – Wenn Sie wissen, was ich meine … gehörte eben zum Spiel.«
Maria musste sich wieder abwenden. Sie wäre sonst über Jasmin hergefallen, obwohl die ja nichts dafür konnte – im eigentlichen Sinne. Denn woher sollte sie schon wissen, dass das drüben in der anderen Wohnung nicht eben auch ein Spiel war, so wie ihres. Aber – wenn sie nicht eingeraucht gewesen wäre, oder wenn die beiden vielleicht schon bei der Zigarette danach gewesen wären – oder wenn sie ein bisschen später die Szene bemerkt hätte, wenn der Mörder schon ans Werk gegangen wäre …
»Wenn ich mir vorstell, dass, wenn ich es ein bissel später gesehen hätt, die Stein noch leben könnt …«
Maria schluckte, als sie die betroffene Schwingung in Jasmins Stimme wahrnahm. Nein, sie konnte nichts dafür, es war eben ein Scheißzufall gewesen. Ein Scheißzufall, ungerecht und beliebig, wie so oft.
»Haben Sie dann später noch einmal
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