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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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vergangenen Woche, dann der Diebstahl der Bleiplatten vor zwei Wochen (ein ganzes Hausdach war abgedeckt worden) und … ach ja, die Sache mit den Boxerkrabben, der Dopingskandal. Ryffel konnte nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken. Absolut uninteressante Vorfälle. In der Müllbachgegend war noch nie etwas Interessantes passiert.
    »Bringen Sie Ihr Beweisstück doch einfach morgen im Amt vorbei, dann werde ich mich …«, begann er gelangweilt.
    »Erzählen Sie keinen Unsinn!« zischte Frau Ausrichter. »Wie soll ich so was vorbeibringen? Das ist unmöglich!«
    »Hä? Wie? Ich verstehe nicht. Wenn Sie ein Beweisstück haben, dann können Sie es doch vorbeibringen!« Ryffel überlegte. »Mieten Sie sich einen Wagen. Oder kümmern Sie sich um eine Mitfahrgelegenheit oder so was.«
    »Normalerweise wäre das auch durchaus möglich. Aber nicht, wenn es sich um den ganzen Bach handelt. Hier, bitte schön!« Frau Ausrichter zeigte auf die Fußspuren im Schlamm. »Wie soll ich das vorbeibringen? Erzählen Sie mir jetzt bloß nichts von Eimer und Schaufel!«
    »Ich … äh … hmpf.« Ryffel hätte sich am liebsten eine Ohrfeige verpaßt. Frau Ausrichter hatte ihn wieder einmal drangekriegt. Und obwohl er schon wußte, was er zu hören bekommen würde, fragte er: »Und wofür haben Sie einen Beweis?« Insgeheim überlegte er, ob er nicht vielleicht doch die Cracks von der kriminaltechnischen Abteilung benachrichtigen sollte – nur um sich ihr Gejammer über den Schlendrian im Amt für Natürliche Ordnung nicht mehr anhören zu müssen.
    »Verschandelung der Umwelt!« sagte Frau Ausrichter. »Es ist doch immer wieder dasselbe: Die Leute sind rücksichtslos, sie kümmern sich keinen Deut um den Zustand ihrer Umwelt. Sehen Sie diesen großen schwarzen Sack da drüben? Sehen Sie ihn?«
    Ryffel hätte jetzt beinahe gelacht. Das war die Antwort, die er erwartet hatte! Er hätte drauf wetten können! Hundert Silbergroschen hätte er wetten können, weil ihr noch nie etwas anderes aufgefallen war. In all den Jahren, in denen er jetzt in dieser verlassenen Gegend Streife ging, hatte sie noch nie etwas bemerkt, das eine Meldung wert gewesen wäre. Sollte sie jemals in ein Massaker geraten – sie würde die roten Flecken auf dem Fußboden monieren und sich darüber ereifern, daß nicht ordentlich aufgeräumt war und an ein paar Stellen irgendwelche Körperteile herumlagen.
    »Und? Was wollen Sie jetzt unternehmen, he?« nörgelte Frau Ausrichter und stieß ihm den Zeigefinger in den Magen – einen Finger, der nach all den Jahren, in denen sie ihn immer wieder für eben diese Verrichtung benutzt hatte, eisenhart geworden war.
    »Ich werde eine Verwarnung …«
    »Verwarnung?« kreischte sie. »Und was machen Sie mit dieser Verwarnung, sobald ich Ihnen den Rücken zugedreht habe? Landet die dann auch im Bach?«
    »Jetzt hören Sie mal! Ich bin Wachtmeister und Beamter des …«
    »Dann verhalten Sie sich auch dementsprechend!« setzte sie ihm zu und klopfte erbost mit dem Fuß auf den Boden. »Bei Anzeige eines Verbrechens müssen Sie doch wohl handeln, hmmm? Und wenn Sie nicht handeln, sind Sie eine Schande für die Uniform, die Sie tragen!«
    Frau Ausrichter starrte ihn über die Ränder ihres Kneifers hinweg an, ihre Lippen zuckten aufgebracht und waren unablässig in Bewegung. Es war ein Anblick, der erwachsenen Männern Angst und Schrecken einjagen konnte. Ryffel bildete da keine Ausnahme. Mit jeder Minute, die er dem rotglühenden Licht dieses unnachgiebigen, bitterbösen Blicks ausgesetzt war, zerfiel Stück für Stück seine Entschlossenheit und löste sich im Staub der Unabwendbarkeit auf.
    »Wa … wa …«, stammelte er zum stampfenden Rhythmus ihrer beharrlich klopfenden Füße. Ihr Blick war so durchbohrend, daß er ihn im Hinterkopf zu spüren meinte.
    »Nun machen Sie schon! Handeln Sie endlich!« insistierte sie und drohte fachmännisch mit dem Zeigefinger.
    »Was … was soll ich denn machen?« platzte Ryffel heraus und bereute es noch im selben Augenblick. Im Kontakt mit dem Bürger das Steuer immer fest in der Hand behalten! lautete eine der wichtigsten Verhaltensanweisungen des Amtes für Natürliche Ordnung. Vor allen Dingen dann nicht, wenn es sich um eine Bürgerin mit dem Namen ›Ausrichter‹ handelte.
    »So ist es recht, mein Junge, das ist der richtige Geist!« Sie grinste und sprach in einem Ton, der unerklärlicherweise bei ihm den Wunsch auslöste, sich auf den Rücken zu legen und sich das Bäuchlein

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