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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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kraulen zu lassen. »Und jetzt gehen Sie und holen den Sack da drüben!«
    Er marschierte los, blieb nach drei Schritten unvermittelt stehen, fuhr herum und stemmte – eine Haltung, die überall verstanden wird – trotzig die Hände in die Hüften.
    »Jetzt Moment mal«, sagte er bestimmt. »Ich bin doch nicht der Müllmann! Auch wenn die Uniformen recht ähnlich aussehen – ich bin Wachtmeister …«
    »Dann handeln Sie auch wie einer und holen Sie den Sack!« unterbrach sie ihn. Vorwurfsvoll wie eine Oberschwester.
    »Nein. Ich sammle keine Abfälle! Nicht wenn ich im Dienst bin! Und jetzt, wenn Sie erlauben, muß ich mich wieder um meine Arbeit küm …«
    »Aber Schuttabladen ist doch hier wohl verboten, oder? Das ist doch wohl eine strafbare Handlung, nicht wahr?« Frau Abkrieger ließ sich nicht abwimmeln. Abwimmeln – das war ein Wort, das es in ihrem Sprachschatz nicht gab, dessen Bedeutung sie gar nicht kannte.
    »Selbstverständlich. So was bringt mindestens drei Monate Einzelhaft, wenn’s nach mir …«
    »Und wir brauchten doch wenigstens einen winzigen Beweis, wenn wir mit der Anklage durchkommen wollen?«
    »Ja«, sagte Ryffel mißtrauisch. Er ahnte, daß diese Fragen in letzter Konsequenz – und so wie immer – zu einem Ergebnis führen würden, das für Frau Ausrichter schon längst und von vornherein feststand. Diese Fragen waren wie Schäferhunde, die darauf abgerichtet waren, seine Entschlüsse wie eine blökende Schafherde in eine Ecke zu treiben.
    »Na bitte: Da haben Sie Ihren Beweis!« Sie zeigte auf den anstößigen schwarzen Sack, der immer noch auf dem schlammigen Bachufer lag. Ein Meuchelhäher saß darauf und hackte wild mit dem Schnabel auf ihn ein – er schien etwas gewittert zu haben. Als Ryffel das sah, da wußte er, daß etwas nicht in Ordnung war. In all den Jahren, in denen er jetzt am Müllbach Streife ging, hatte er noch nie erlebt, daß ein Meuchelhäher hier nach Futter gesucht hätte. Diese Vögel waren viel zu wählerisch, um sich dafür zu interessieren, was der Müllbach zu bieten hatte. Über das Zeug, das normalerweise in diesem Bach herumschwamm, hätten sie nur den Schnabel gerümpft. Es sei denn, es wäre ein Stück Fleisch darunter gewesen. Ryffel hatte davon gehört, daß sich ganze Schwärme von Meuchelhähern stundenlang um ein winziges Stückchen Speckschwarte gestritten hatten. Aber wenn er das irre Glitzern im Auge dieses Vogels richtig deutete, dann steckte mehr als eine Speckschwarte im Sack.
    Ryffel schluckte nervös. Wenn sich herausstellen sollte, daß Fleischbrocken am Ufer des Müllbachs herumlagen, dann war etwas faul. Ganz gewaltig faul. Entsetzlich faul.
    »Jetzt gehen Sie doch! Holen Sie ihn endlich!« kommandierte Frau Ausrichter. Und genau in diesem Augenblick rutschte etwas Großes, Bleiches die Uferböschung hinunter.
    Damit war es um Ryffels Entschlossenheit endgültig geschehen. »Moment, Moment! So leicht kriegen Sie mich nicht dran! Das ist doch nur ein billiger Trick, Sie wollen doch nur erreichen, daß ich den Bach saubermache …«
    »Ich glaube nicht, daß der Herr Überwachtmeister Strappado sehr erfreut wäre, wenn er erführe, daß einer von seinen Männer ganz bewußt ein Beweisstück ignoriert …«
    »Unterstehn Sie sich!« Der Wachtmeister hustete nervös. Er wußte sehr wohl, was Strappado mit dem einen oder anderen Lieblingsstück seiner – Ryffels! – Anatomie anstellen würde, sollte er von dieser Pflichtverletzung erfahren. Er spürte schon glühendheiße Schüreisen ganz nahe an seinen Nieren, viel zu nahe!
    Frau Ausrichter lächelte, als wollte sie sagen: ›Es liegt ganz bei Ihnen. Ich meine, wenn Ihnen tatsächlich gefällt, was Strappado so alles kann, dann – bitte schön, nur zu! Lassen Sie den Sack Sack sein, und freuen Sie sich auf ein Leben in ständiger Angst vor gegrillten Nierchen!‹ Aber statt dessen sagte sie: »Ich will doch nur Ihr Bestes! Haben Sie sich eigentlich nicht schon längst einmal eine Beförderung verdient?«
    Sie bekam keine Antwort auf ihre Frage. Der Wachtmeister stand bereits knietief im zähen schwarzen Schlamm und stapfte keuchend und würgend auf den anstoßerregenden Sack zu. Ängstlich blickte er sich um, als wieder eines von diesen bleichen Dingern auftauchte und gleich wieder davonglitschte. Er schluckte, löschte das Bild aus seiner Erinnerung und stampfte weiter. Würmer! Ihn schauderte. Er hatte versucht, nicht daran zu denken, daß es hier achtzehn Zoll lange Monsterwürmer

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