Die Nanowichte
Gnädigste.« Grinsend hielt sich Ryffel am baumelnden Schürzenband seiner Mutter fest und stapfte hinter ihr her, schlug immer wieder einmal nach dem kreischenden Vogel und hinterließ mit dem schlammigen Indiziensack eine glitschige Spur.
Im Hauptquartier des MAD kratzte sich ein graugekleideter Observationstechniker verwirrt den Kopf, als plötzlich die Bildübertragungen des ferngesteuerten Linser-Insekts abbrachen. Er sah sich noch einmal an, was in der Speichereinheit der Kristallkugel aufgezeichnet war, und starrte mit großen Augen auf das bleiche Gesicht eines Mannes, der allem Anschein nach (seine Kleidung legte diesen Schluß nahe) mit Magie zu tun hatte.
Und das war etwas, was seinen Vorgesetzten ganz bestimmt interessieren würde. Ein toter Zauberer. Der Kommandant würde sich freuen.
»Drei!« Der Mann im Smoking hielt die entsprechende Anzahl Finger hoch. Der Geber schnippte ihm die Karten zu. Sie landeten zielsicher vor dem Spieler, flatterten noch ein wenig und blieben dann auf dem grünen Tuch des Spieltisches liegen. Der Spieler deckte sie auf, sah sie flüchtig an, fauchte und knallte das komplette Blatt fluchend auf den Tisch.
»Passe!« knurrte er, nachdem er seinen Fünfer in die Sammelbüchse gesteckt hatte, mit der der Geber aufgebracht klapperte. Der Geber ließ zwar so manches durchgehen; nur wenn am Spieltisch geflucht wurde, kannte er kein Pardon.
»Zwei«, blaffte Zock, der nächste Spieler. Er grinste erwartungsvoll. Über dreihundertfünfzig Silbergroschen waren jetzt im Topf, und die wollte er haben. Und die würde er auch bekommen! Ganz sicher! Das Glück war auf seiner Seite – er hätte schwören können, daß ihm die heißblütige Fortuna über den Tisch hinweg ungezählte leidenschaftliche und glückverheißende Kußhändchen zuwarf.
Gierig schnappte er sich die Karten. Seine ledernen Spielhandschuhe knarrten, er deckte die Karten auf, blinzelte und hätte beinahe geschrien vor Freude. Sein Herz flatterte begeistert.
»Erhöhe auf zwanzig«, sagte er. Dann warf er schwungvoll zwei unbrauchbare Karten ab und hielt das restliche Blatt krampfhaft fest. Zwei Viererserien hatte er jetzt, genau das, was diesem Spiel seinen phantasielosen Namen gegeben hatte – zwei wunderschöne, vollständige Quartette.
Seine Partner setzten knurrend das erforderliche Kleingeld ein, und der nächste Spieler bekam seine zwei Karten.
Zock sah zu, wie die nächsten drei Spieler beinahe quälend langsam ihre Karten zukauften, ablegten und das Blatt sortierten oder fluchend aufgaben und ihre fünf Groschen Strafe zahlten. Bald schon bestand die Runde nur noch aus drei Spielern.
Zock spürte, wie sein Herz bebte. Die Sache stand ausgezeichnet. »Erhöhe auf dreißig!« nuschelte er kaum hörbar – er versuchte, ein unbewegtes Pokerface zu machen. Ein Geldregen ließ die Einsatzsumme weit über die 400-Groschen-Marke ansteigen.
Und dann gab, so wie er gehofft hatte, einer der zwei verbliebenen Gegner auf: Er grunzte geräuschvoll, warf die Karten auf den Tisch und zog ein finsteres Gesicht, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
Fortuna zog ihre Strümpfe hoch und schürzte aufmunternd die Lippen.
Zock faßte seinen letzten Gegner scharf ins Auge. Er versuchte telegraphische Haßwellen durch den Äther zu ihm zu schicken, versuchte ihn zu verunsichern, genau so, wie man auch ihn schon oft verunsichert hatte. Er starrte seinen Konkurrenten – wie er meinte und hoffte – arrogant und böse an und wartete ungeduldig auf die ersten Anzeichen der Schwäche.
Bei diesem Ausmaß an intensiver Konzentration mußte es nicht verwundern, daß er nicht bemerkte, wie ein Mann, dessen fünfundsechzigster Geburtstag gut und gern zwei Tage zurückliegen mochte und der offensichtlich dringend eine Stärkung nötig hatte, die Tür aufstieß und in den Spielsalon stolperte. Natürlich gab es auch noch eine ganze Reihe anderer Gründe, warum Zock diesen Mann nicht bemerkte. Sehr wahrscheinlich lag es auch daran, daß er mit dem Rücken zur Tür saß.
Doch schon wenig später sollte allen, selbst denen, die in den abgelegensten Winkeln saßen, erschreckend klarwerden, wer da gerade hereinmarschiert war.
Quintzi Cohatl, der deutlich in den Armen spürte, was es bedeutete, einen großen schwarzen Sack zum Müllbach zu schleppen und dort zu versenken, schlurfte an die Theke. Er leckte sich erwartungsvoll die Lippen und bestellte sich, noch während er auf einen Barhocker kraxelte, einen Humpen
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