Die Nanowichte
schmutzigen Vorstadtbezirke von Guldenburg. »Da rein?« Er würgte. »Und dafür soll ich mein Leben in den Bergen aufgeben, wo die Freiheit wohnt, wo die Luft rein und klar ist … Dafür?«
»Na gut! Wenn dich Kristallkugeln und die Kenntnis der Zukunft nicht mehr interessieren …«
»Nein! Äh … ich meine … doch!«
»Also dann los! Durch das Tor da vorn, dann die erste links, zweite rechts …« Quintzi rannte. Die Nanos schnurrten und brummten, wiesen ihm den Weg und lotsten ihn in eine versteckte Seitenstrasse, an eine Adresse, die kaum einer kannte: Leimergasse 21-21b.
Der Blitzstart kam völlig unerwartet. Erst als es zu spät war, hatte Hogshead, der immer diskret auf Abstand geblieben war, bemerkt, daß Quintzi vorhatte, aus der Deckung herauszukommen. Eben hatte er ihn noch ganz deutlich vor sich gesehen und jetzt – jetzt sah er nur mehr einen Haufen dürres Laub vom vergangenen Jahr durch die Luft wirbeln.
Auf dem Hügel vor der Stadt hätte er den arthritischen Axolotianer beinahe eingeholt; vor dem maroden, wurmstichigen Stadttor war er knapp hinter ihm gewesen, hatte ihn noch links abbiegen sehen und dann – dann hatte er ihn im labyrinthischen Straßengewirr von Guldenburg aus den Augen verloren.
Hogshead fauchte vor Wut, verfluchte und verwünschte sich wegen seiner Dummheit. Da war er nach einer Ewigkeit – nach monatelanger Warterei! – endlich auf etwas magiemäßig leidlich Interessantes gestoßen und hatte sich prompt überrumpeln und abhängen lassen! Blöd, blöd, blöd! Sein Blut begann zu kochen, er strafte und züchtigte sich selbst mit der Geißel der maßlosen Verbitterung. Eine bodenlose Frechheit, einfach so zu verschwinden!
Seine Nackenmuskeln spannten sich, machten sich bereit, die Stirn gegen die nächstbeste solide Fläche zu schlagen. Schon riß er den Kopf zurück und … Gut eine Woche lang hätte er scheußliche Kopfschmerzen leiden müssen, wäre ihm nicht etwas in die Augen gesprungen, das über ihm an der Mauer hing. Er blieb daran hängen, wie Männer bei der Lektüre einer Textseite zuallererst und vor allem an einem einzigen Wort hängenbleiben – ›Sex‹.
Dieses Etwas war ein Plakat mit der Ankündigung:
WILLKOMMEN ZUR ERÖFFNUNG DER MYSTEMS IN GULDENBURG!
DEMONSTRATIONEN UND PRAKTISCHE VORFÜHRUNGEN!
VERKAUFSSTÄNDE!
ESELREITEN!
CONGRESS CENTER GULDENBURG
HEUTE!!!
Er überlegte nicht lange. Ganz klar: Da mußte er hin!
Am anderen Ende der Stadt war man weit weniger entschlußfreudig.
»Nun macht schon, Herrschaften! Die Einsätze, bitte schön!« drängte ein gewisser Doz Ysher, Besitzer des Wettforum Guldenburg. Er bettelte geradezu flehentlich – obwohl er sich gewaltig anstrengte, gerade diesen Eindruck nicht entstehen zu lassen.
»Was ist denn, ihr filzigen Pfennigfuchser? Ein paar windige Silbergroschen auf das nächste Rennen!«
»Sofort, wenn du uns ein paar leihst«, raunzte ein abgerissenes Individuum, das mit ein paar anderen ähnlich gekleideten Berbern im Tedd Cert Wettforum Guldenburg herumstand.
»Mach ich doch glatt«, knurrte Doz Ysher sarkastisch. »Ich mach alles, damit euch nicht langweilig wird. Ich würd’ mir sogar die Pulsadern aufschneiden für euch!«
»Würdst du? Ehrlich?«
»Zum Glück bin ich nicht ganz so blöd, wie ihr meint, daß ich’s bin!« schrie er durch das Schaltergitter. Sein Kahlkopf glänzte, er war schweißnaß. »Gebt jetzt endlich eure Tips ab! Ich bin schließlich nicht von der Wohlfahrt!« Wieder ein Tag, den man abschreiben konnte. Wenn das Geschäft weiter so flau blieb, war die Luft bald ganz raus. »Also los! Her mit dem Baren!«
»Wir hamm keins«, murrte ein abgebrannter Zocker. »Aber wenn du mir einen Zehner gibst, dann setz ich …«
»… dann setzt du den auf den Favoriten und zahlst mir das Geld vom Gewinn wieder zurück«, blaffte Doz Ysher. »Von wegen! Damit bist du mir neulich schon mal gekommen! Jetzt macht endlich! Irgendeiner von euch hat doch bestimmt was zu verlieren … äh … zu bieten, mein ich.«
»Hier, ich …«, meldete sich eine Stimme. Die Menge teilte sich und machte einem arthritischen Lumpenbündel Platz, das langsam zum Wettschalter krauchte. »Bitte schön«, krächzte das Männlein und reichte einen rostigen Viertelgroschen über den Tresen.
Und bevor das Männlein noch ausführlich hätte darlegen können, daß es sich dabei eigentlich um einen Notgroschen für schlechte Zeiten beziehungsweise für den Fall handelte, daß einmal alle
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