Die Nanowichte
Einsatztrupp (fünfzehn bewaffnete Wachtmeister) gekommen war. Er fluchte. Aber er wußte genau, daß das nicht möglich war. Der heutige Einsatz war seine Privatangelegenheit, war ganz allein seine Sache, seine große Chance, die er sich nicht entgehenlassen durfte. Außerdem hatten seine fünfzehn Kollegen heute abend frei. Und sie zu bestechen, das hätte er sich gar nicht leisten können.
Er atmete tief durch. Dann schlich er sich aus dem Schatten und machte sich heimlich und leise davon in Richtung Kneipentür, über der eine Tafel hing, auf die die Ankündigung gekritzelt war, daß
HIER, HEUTE ABEND,
UND NUR HEUTE ABEND,
DER GROSSE INTRANCO ZAUBERN TUT!
BIER GEHT VOLL AUF KOSTEN VON DIE GÄSTE!
Und als er die Tür aufstieß, da fiel die Atmosphäre mit voller Wucht über ihn her. Seine Gedanken rasten zwei Jahre zurück, zurück zu jener schicksalsschweren Nacht.
Der Silberne Spucknapf hatte sich nicht verändert. Wie immer war der Laden gerammelt voll: Killer, Mörder und Totschläger gingen ihrer Lieblingsbeschäftigung nach und plünderten sich gegenseitig auf jede erdenkliche Art und Weise aus, kippten sich mächtige Humpen mit Hexenhammer hinter die Binde und inhalierten in gewaltigen Mengen die Dämpfe anerkannt illegaler Rauschmittel. Und das alles verrichteten sie im Schutze eines dichten Schleiers aus Mief und Dunst, der sich in dieser gastlichen Herberge festgesetzt hatte, seit damals, als die Ventilatoren den Geist aufgegeben hatten. Es war dieses Gemisch, das jene ganz spezifische ›Atmosphäre‹ bildete, für die der Silberne Spucknapf mittlerweile weitum berühmt war – nicht zuletzt deswegen, weil sie die enervierende Angewohnheit hatte, den arglosen Gast aus entlegenen Ecken anzugrinsen. Einmal aber war auch diese Atmosphäre ein heiteres Lüftchen gewesen, das sich mit den üblichen, harmlosen Lustbarkeiten zufriedengab und etwa einem Spaziergänger, der an lauen Nachmittagen am Fluß Erholung suchte, die Haare zerzauste, in seltenen Fällen auch einmal einem Löwenzahn aus purem Übermut die Fallschirmchen vom Kopf pustete. Doch dann war sie in schlechte Gesellschaft geraten: Die Stammgäste des Silbernen Spucknapfs hatte sich ihrer angenommen und hatte sie mit den berauschenden Freuden des Alkohols und anderer gehaltvollerer Genußmittel vertraut gemacht. Und sie hatte schnell gelernt. Jetzt kannte sie die Zeichen, die darauf hindeuteten, daß sich etwas zusammenbraute, schätzte die köstlichen Sekunden der Spannung vor einer Rauferei und war immer dabei, hockte in finsteren Winkeln und grinste wie die Edamerkatze. Sie war jetzt nicht mehr nur Luft … Sie war voll ausgereifte Atmosphäre.
Eines aber war anders gewesen, als Strappado vor zwei Jahren den Silbernen Spucknapf aufgesucht hatte: Er war damals nicht allein gewesen. Er war in Begleitung gekommen. Und die Person, die mit ihm gekommen war, hatte, ähnlich wie er, einen langen unförmigen Umhang von undefinierbarer brauner Farbe getragen, einen Schlapphut, der ihr Gesicht zum größten Teil verdeckte – die falsche Nase, den falschen Bart, die Brille, die komplette Maskerade eben, die er ihr in der Kürze der Zeit noch besorgen hatte können. Er hatte noch versucht, sie davon abzuhalten. Aber sie hatte sich nicht abhalten lassen.
Die Stammgäste hatten sie mißtrauisch gemustert, als sie das Lokal betreten hatten. Der Lärmpegel war um ein paar Dezibel auf das Niveau ›Zumutbarer Schmerzbereich‹ gesunken, sogar die Atmosphäre war neugierig geworden: Sie hatte das luftige Äquivalent einer Augenbraue leicht angehoben und war, um besser sehen zu können, etwas näher herangerückt. Die weniger ätherischen Tresenhocker hatten die Maskerade schnell durchschaut, hatten sich achselzuckend ab- und umgehend wieder ihren jeweiligen Beschäftigungen (Bechern, Ausnehmen, Inhalieren, Umbringen) zugewandt. Wer es nötig hat, hatten sie sich gesagt, maskiert durch die Gegend zu laufen, der muß wohl wirklich in der Klemme sitzen; und wer so tief in der Klemme sitzt, der kann nur kriminell sein; und wer kriminell ist, der ist allemal berechtigt, teilzuhaben an dem, was der Spucknapf zu bieten hat. Die Atmosphäre war sich da nicht so sicher gewesen. Vor allem was den einen von diesen neuen Gästen anging. Irgend etwas vermißte sie an ihm. Nur was? Aaah ja … Gesichtsbehaarung.
Strappado hatte für sich und seine Frau Vif einen geeigneten Tisch ausgewählt, hatte die beiden umgesunkenen Nachtschwärmer, die ihn besetzt
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