Die Nanowichte
Strappado um die Beine. Sie spürte seine Wut und schnurrte hingerissen.
Auf einem Dachsparren über dem Magier flackerte eine einsame Kerze und zeichnete wunderliche Schattenfiguren auf den Boden. Intranco, bekleidet mit einem langen dunklen Umhang, wirbelte eine Weile herum und ließ es sich nicht nehmen, seinem jetzt schon gelangweiltem Publikum das Innere seiner weiten Ärmel zu zeigen – bei den schlechten Lichtverhältnissen ein vergebliches Unterfangen. Er rollte den rechten Ärmel bis zum Ellbogen auf, wedelte theatralisch mit dem nackten Unterarm, steckte diesen dann – was niemand erwartet hätte – in den linken Ärmel, kramte dort ein wenig herum und zog schließlich routiniert und übertrieben schwungvoll einen Strauß Pergamentnelken hervor. Die Menge applaudierte mit tosendem Gähnen. Die Krähe befand, daß die Kundschaft des Spucknapfs hinreichend abgelenkt war, schwebte lautlos von Intrancos Schulter und machte sich über die diversen Taschen her.
Vif machte Stielaugen. Hätte sie tatsächlich Stielaugen gehabt, dann hätten die jetzt ganz vorn an den Stielenden gesessen und wären dem hin und her schwingenden Nelkenstrauß fasziniert gefolgt.
Intranco ließ sich von der Reaktion des Publikums nicht beeindrucken. Er verbeugte sich mechanisch, riß sich den langen spitzen Hut vom Kopf und demonstrierte gestikulierend und grimassierend, daß auch da drinnen nichts versteckt war. Strappado verstand es anders. Er glaubte, der Magier wolle mit dieser erbärmlichen Pantomime zeigen, daß er weder an krankhaftem Haarausfall noch an Schuppenbefall litt. Deshalb traf es ihn auch eher unvorbereitet, als Intranco von der Bühne sprang, ihm den Schlapphut abnahm und dafür den spitzen Zaubererhut aufsetzte. Strappado schrie erschrocken auf. Er zitterte. Zwei Krallenfüße gruben sich in die zarte Kopfhaut, dann wurde ihm unnatürlich warm dort oben, so warm, als wäre eine mit Federn gefütterte Mütze auf seinem Kopf gelandet. Nur mit Mühe konnte er verhindern, daß seine Hände dem grinsenden Kaninchenschlächter an den Hals fuhren, sein neuronales System führte einen verbissenen Kampf gegen die Muskulatur.
Der Magier, der nicht ahnte, welche Gefahr ihm drohte, lüpfte grinsend den spitzen Hut. Auf dem Kopf des Überwachtmeisters hockte zitternd eine verschreckte Taube. Das leidenschaftliche Desinteresse, das ihr entgegenschlug, machte ihr angst. Vif kreischte begeistert auf. Ihr Geschrei löste bei dem Vogel eine verfrühte Darmregung und einen Fluchtreflex aus: Federn wirbelten durch die Luft, peinlich berührt flatterte die Taube auf und flog in Richtung Dachsparren davon. Strappado fuhr kerzengerade hoch, warf den Stuhl um, machte auf dem Absatz kehrt und floh durch die Hintertür. Nicht ohne sich im Laufen ein Handtuch vom Tresen zu schnappen und sich damit den frischlackierten Kopf zu polieren, gleichermaßen scham- wie zornrot im Gesicht.
Intranco ließ sich von diesem überstürzten Aufbruch nicht weiter ablenken und leitete zum Schlußteil der Nummer über. »Meine Herren«, rief er, »ich brauche einen Freiwilligen!«
Ein Leben lang hatte Vif darauf gewartet, daß irgendwann einmal ein Zauberer in irgendeiner Vorstellung diese vier Worte aussprechen würde. Jetzt war es soweit. Und weil ihr Gatte nicht mehr neben ihr saß und sie böse anstarrte und zurückhielt, schoß ihre Hand, begleitet von einem Schwall bettelnd vorgetragener Ich, Ich, Ich!- Rufe nach oben. Dann sprang sie, zu ihrer eigenen Verwunderung und noch bevor ihr selbst klar wurde, was sie tat, vom Stuhl auf und stand schon im selben Augenblick neben dem Magier auf der Bühne. »Ich!« sagte sie. »Ich melde mich freiwillig!« Die Atmosphäre wirbelte ausgelassen durch das Dachgebälk.
Intranco sah von der Bühne herab, spähte angestrengt in den dunklen Raum, zuckte mit den Schultern und nickte entmutigt. Er war zutiefst enttäuscht. Eigentlich hatte er eher eine junge knackige Assistentin verzaubern (natürlich auch bezaubern) wollen. Er drehte sich um, öffnete einen großen Koffer und stellte im Handumdrehen einen großen Wandschirm auf, der mit den üblichen Bildern und Symbolen dekoriert war: mit Silbermonden und Kaninchen, die aus Zylinderhüten lugten. Dann schraubte er insgeheim ein mysteriöses Fläschchen auf (erhältlich bei Rudi Ramscher, dem Thaumaturgischen Tandler) und schluckte schaudernd zwei rosarote Pillen.
Schließlich richtete er sich auf und legte mittels einer komplizierten pantomimischen Darbietung
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