Die Nanowichte
hatten, mit einem flinken Stiefeltritt zur Seite geschafft und war dann an die Bar gegangen. Nur wenig später war er mit zwei schäumenden Krügen Hexenhammer wieder zurückgekehrt.
»Und wo bleibt meiner?« hatte ihn Vif angefaucht, als er das Bier auf den Tisch gestellt hatte.
»Pssst«, hatte Strappado sie gewarnt. »Ich hab dir doch gesagt, ein hartgesottener Verbrecher trinkt keine Cocktails! Und jetzt halt den Mund, das M … Mmm … das Spektakel geht gleich los!« Die Atmosphäre saugte eine Rauchwolke ein, rückte noch ein Stück näher an die neuen Gäste heran und spürte, daß die beiden merkwürdigerweise ganz verschieden gestimmt waren: Während der eine dem bevorstehenden Ereignis freudig erregt entgegenfieberte, bibberte der andere vor Angst. Hätte sie Strappado in den Kopf schauen können, dann hätte sie möglicherweise gesehen, daß dort in endloser Wiederholung die immer gleiche bluttriefende Szene abgespult wurde: die Bühnenshow eines Zauberers, die mit den letzten Sekunden im Leben eines gescheckten Kaninchens endete.
»Hmpfff. Du hättest wenigsten ein Schirmchen reinstecken lassen können«, fauchte Vif und starrte ihren Krug an. »Sieht doch irgendwie nackt aus.«
»Sei still, Schatz«, knurrte Strappado.
Schatz? wunderte sich die Atmosphäre. Sie war jetzt schon lange im Spucknapf, schon sehr lange. Aber noch nie hatte sie gehört, daß sich Gäste mit ›Schatz‹ anredeten.
»Sei bitte still, Schatz«, sagte Strappado wieder. »Wir wollen doch nicht, daß man auf uns aufmerksam wird, oder? Ich hab dich nur deshalb eingeschmuggelt, weil heute eine Veranstaltung stattfindet. Du weißt doch, welche Regeln hier gelten? Bezüglich Frauen, mein ich.«
»Verdammte Sexisten«, fauchte Vif. »Dabei tät’s der Bude ganz gut, wenn sich mal eine Frau drum kümmern würde. Müßte dringend ein bißchen aufpoliert werden. Hier ein paar Blumen und da ein paar Blumen, dann Polster, Vorhänge …«
Aber bevor sie innenarchitektonisch richtig in Schwung kommen konnte, erloschen langsam die Lichter (ein Ereignis, das von den Anwesenden freudig begrüßt wurde: An den Tischen wurden hektisch allerlei dubiose Geschäfte getätigt, wechselten zweifelhafte Päckchen gegen Beutel voll Geld den Besitzer), der Wirt schlug dröhnend auf den Tresen und bat um Ruhe.
»Herrschaften!« krächzte er. Er war es nicht gewöhnt zu schreien. Wenn er einmal schrie, dann allenfalls »Sperrstunde, meine Herrschaften!« – aber auch das schrie er nicht sehr oft. »Herrschaften! Es ist mir eine große Freude, Ihnen heute zu … äh … Ihrer großen Freude und so, den einen und einzigen, den Großen Intranco vorstellen zu dürfen!«
Ein Sturm der Apathie brach los im Silbernen Spucknapf, gelegentlich war zu hören, wie jemand sich die Nase wischte … Vif hätte die Situation um ein Haar ruiniert, wenn ihr Strappado nicht zuvorgekommen wäre: Er packte ihre Hände und verhinderte im letzten Moment, daß sie die Finger in den Mund steckte und ein paar schrille, aufmunternde Pfiffe ausstieß. Kein Zweifel, Vif war hingerissen. Sie war verrückt nach Zaubershows. Und jetzt saß sie in der ersten Reihe, sollte Taschenspielerkunst vom Feinsten aus nächster Nähe erleben – sie konnte es kaum mehr erwarten! Welch eine Aufregung! freute sich die Atmosphäre.
Dann war es endlich soweit: Der Große Intranco sprang, in eine Rauchwolke gehüllt, auf eine Tischplatte, die auf vier Fässern lag. Auf seiner Schulter hockte eine große schwarze Krähe. Sie musterte das Publikum und überlegte, welche Tasche für eine schnelle Plünderung reif war.
Beim Anblick des verruchten Kaninchenmörders, der für seine schändliche Tat nie gebüßt hatte, krampfte sich Strappados Herz vor Wut zusammen. Und sein Gedächtnis fauchte zornig, als es den erbärmlichen Tarnversuch bemerkte: Wenn Intranco glaubte, eine kleine Rasur würde genügen, um ihn, Strappado, zum Narren zu halten, dann hatte er sich gebrannt. Es kostete den Überwachtmeister alles, was er an Willenskraft mobilisieren konnte, um nicht aufzuspringen, den Magier zu packen und ihn aus dem Spucknapf zu schleifen. Außerdem war ihm klar, daß er sich damit verraten würde. Und wenn er sich verraten würde, würde es ihm nie wieder möglich sein, Basso profundo zu singen. Es war also besser, den rechten Augenblick abzuwarten. Und der mußte irgendwann kommen. Wenn nicht, dann konnte er es nach der Show immer noch mit dem Autogrammtrick probieren. Die Atmosphäre strich
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