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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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klar, daß es sich bei dem, was das Publikum (falls es sich dazu aufraffen könnte, wenigstens ein bißchen aufzupassen) jetzt zu sehen bekommen sollte, nicht um Spiegeltricks und Falltüreffekte, sondern um echte und rechtschaffene (und ebenfalls bei Rudi Ramscher zu einem durchaus vernünftigen Preis erhältliche) Magie handelte. Er nahm den Wandschirm auseinander und setzte ihn wieder zusammen, drehte ihn um und zeigte die Rückseite, sprang auf der Bühne auf und ab, stocherte mit Schwertern zwischen den Fässern herum, plazierte endlich Vif auf der Rückseite des von hinten angestrahlten Wandschirms und mühte sich vergeblich, die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die Silhouette zu lenken, die sich auf der Vorderseite des Schirms abzeichnete.
    Und dann fing er an. Natürlich hätte er es lieber gehabt, wenn statt des unaufhörlichen Stimmengemurmels ein Trommelwirbel zu hören gewesen wäre, aber … es sollte eben nun einmal nicht sein. Er schrieb mit den Händen geheimnisvolle Zeichen in die Luft, murmelte allerlei Absonderliches und schwankte hin und her. Vif hielt mucksmäuschenstill, nur ihre Silhouette zuckte und ruckte im flackernden Kerzenschein. Intranco skandierte lauter und schneller. Wieder flackerte die Kerze unruhig. Ein paar Zuschauer blickten verwundert auf: Dem Schattenriß schienen Hörner zu wachsen. Nur weil eine Kerze flackerte? Das konnte doch wohl nicht sein! Doch dann – der Zauberer wechselte die Tonart –, dann schien der schwarze Schatten zu schrumpfen, der Hals wurde länger und länger, die Hutkrempe bog sich auf und verwandelte sich in ein Paar Ohren, die Mantelschöße verzwirnten sich zu einem Schwanz, die Finger verschwanden, Nase und Mund streckten sich und bildeten eine Schnauze, die Gestalt beugte sich vornüber, stand jetzt auf allen vieren und – begann zu meckern.
    Wieder sprang Intranco mit theatralischem Schwung über die Bühne und zog an einer Schnur: Das Rouleau sauste nach oben, drehte sich flatternd um den oberen Rollbalken, und – im Rahmen des Wandschirms stand, zwei stattliche Hörner auf dem Kopf, eine Ziege und fraß dem Zauberer den Futterstoff aus dem Koffer.
    »Hau ab!« schrie Intranco und schlug der Geiß mit der flachen Hand auf das Hinterteil. Genau in dem Moment kam Strappado, der sich endlich die Guanospuren vom Kopf geputzt hatte, wieder in die Kneipe gestiefelt. Fassungslos starrte er den leeren Tisch an, dann die Ziege, dann wieder den Tisch. »Was hast du mit meiner Frau …?« brüllte er los und bereute es noch im selben Augenblick. Die Ziege begann vor Schreck zu meckern und lenkte damit das Interesse aller Anwesenden auf ihn.
    »Äh … mit dem Bekannten von meiner Frau gemacht? Mit dem Bekannten meiner Frau gemacht?« stotterte er. »Hier hat er gesessen, hier an diesem Tisch und …«
    »Hat sich freiwillig gemeldet«, grinste Intranco. Und weil die Ziege schon wieder ein Stück von dem Samt, mit dem der Koffer ausgekleidet war, abgerissen hatte und zerkaute, brannte er ihr noch einmal eins über.
    »Du verwandelst sie … verwandelst ihn auf der Stelle wieder zurück!« schrie Strappado. »Sofort!«
    »Was? Sofort?« röhrte der Magier. »Jetzt, da das Publikum gerade so schön eingestimmt ist? Jetzt, da ich die Nummer mit dem Opfer bringen wollte? Die Nummer mit dem allseits so beliebten Schrein des Schreckens …«
    Strappado trat drohend einen Schritt auf ihn zu, zog ein Zerwirkmesser (Länge vierzehn Zoll, die Standardwaffe der Beamten des Amtes für Natürliche Ordnung) aus der Manteltasche und hielt es ihm genau vor die Leber. Die Atmosphäre sah ihm grinsend über die Schulter.
    »Du verwandelst sie … äh … ich meine ihn jetzt auf der Stelle wieder zurück, oder ich zeige dir meine Opfernummer!« knurrte er mit seiner ganzen überwacht-meisterlichen Autorität. Die Atmosphäre kringelte sich vor Begeisterung. Sie freute sich auf die bevorstehende Prügelei.
    »Ach bitte! Ich hab doch nur diesen einen Freiwilligen«, bettelte Intranco. »Nur noch ein paar Minuten! Nur noch, bis ich das Finale …«
    »Nein! Du sollst sie zurückverwandeln! Und zwar jetzt!« Strappado stieß dem Magier unmißverständlich in die Leber.
    »Geht nicht … Ist viel zu … zu gefährlich, wenn man jemand zu früh wieder zurückver … und außerdem …« Seine Augen flackerten erschrocken. »Sie? Sagten Sie ›sie‹?«
    »Ja, sagte ich. Aber … Nicht so laut! Ich weiß, daß sie hier nicht rein dürfte. Aber sie hat drauf bestanden … Was

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