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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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wischte sich eine Haarsträhne aus den Augen, kreischte vor Entzücken und war mit einem Satz und mit wehenden Laborkittelschößen über dem Tisch.
    »Hast du alles bekommen?«
    Ernstl nickte. Genaugenommen wäre es ihm lieber gewesen, wenn er nicht alles bekommen hätte. Die Schlepperei wäre nicht ganz so anstrengend gewesen, wenn ein paar von den größeren Sachen ›vorübergehend nicht vorrätig‹ gewesen wären.
    »Auch die mustererkennungsfähigen Kristallkugeln?«
    »Jou«, grunzte Ernstl. »Sonderangebot. Bei Kauf von zwei Stück hat’s eine Runixspeicherplatte gratis gegeben.«
    »Du bist ein Schatz! Ich könnte dich küssen!«
    »Bäääh! Laß mal lieber.«
    »Dann nimm dir wenigstens ein Bier.« Apathos war hingerissen. Er sprang auf den Wagen und wühlte aufgeregt in den Kisten und Kästen. Dafür hatte er gearbeitet, wochenlang! Sein Puls raste, als er jetzt die Lieferung befingerte, die nach Meinung aller nie hätte eintreffen sollen. Aber jetzt lag er vor ihm, der stolze Lohn seiner Bemühungen. Ohne die Produktion der Wahrsagerkugeln, ohne ihren Verkauf, ohne den Erwerb der Bleirohre und ohne deren anschließende Verwandlung in erheblich wertvolleres Gold – ohne diese Arbeit hätte er nie die Mittel zur Finanzierung seines Projekts auftreiben können.
    »Nur zu! Nimm dir ruhig«, ermunterte er Ernstl und zeigte auf das große Faß, das an der Rückwand des mit allem möglichen Gerümpel vollgestopften Labors stand.
    Ernstl ließ sich nicht zweimal bitten. Blitzschnell schnappte er sich aus einem Regal einen ledernen Deckelkrug, hielt ihn unter den Zapfhahn und drehte schwungvoll auf. Einen Moment lang passierte gar nichts. Dann war ein gewaltiges Blubbern zu hören, das Faß begann zu zittern, und dann schoß mit heftigem Rauschen schäumendes Bier aus dem Hahn, spritzte nach allen Seiten und durchnäßte den glücklosen Wachmann.
    »Verdammt, verdammt, verdammt!« schrie Apathos. »Immer noch zuviel Pentagrammatoldioxid in dem Ding. Aber irgendwann komm ich bestimmt noch drauf, wie Bier vom Faß sein muß. Obwohl«, sinnierte er mit Blick auf den eingeschäumten Ernstl, »die Blume doch eigentlich ganz gut ist.«
    Er legte diesen Befund irgendwo in den geräumigen Nischen seines Geistes ab und wandte sich augenblicklich wieder dem Kistenstapel zu. Schon wenige Sekunden später hatte er sich das entscheidende Päckchen geschnappt. Er sprang vom Wagen, wuselte an seinen Tisch zurück und befaßte sich schon im nächsten Moment wieder mit jener Ansammlung von eigenartigen kristallomantischen Gerätschaften, pentagrammatischen Leiterplatten und Runixoszillatoren, an der er im Augenblick arbeitete.
    Ernstl leckte vorsichtig an dem Schaum, der jetzt schnell zusammenfiel, schnalzte genießerisch mit den Lippen und putzte weg, was er bekommen konnte von diesem Novum in der Geschichte der Gastronomie: Biermousse, serviert in mannshohen Portionen.
    Die Hände des Fachthaumaturgen flogen zwischen Leitungskabeln und Thaumartransistoren hin und her, schlossen dort etwas an, stöpselten hier etwas zusammen, bauten die neu erworbenen mustererkennungsfähigen Kristallkugeln in das wirre Aggregat ein. Schließlich trat Apathos einen Schritt zurück und bewunderte sein Werk. Auch wenn das, was jetzt vor ihm lag, zugegebenermaßen nicht gerade umwerfend aussah, so war es doch ein neuer, sensationeller Durchbruch auf dem Feld der Thaumaturgie, ein weiterer Triumph der Magie über die Natur – ein Geniestreich, nichts anderes. Blieb nur zu hoffen, daß es auch funktionierte.
    Genau das hoffte auch der geheimnisvolle Zuschauer, der das Geschehen aus weiter Ferne und durch das kristallklare Facettenauge eines MAD-Linsers beobachtete. Er blickte hinter sich, blickte auf ein ganz ähnliches Gewirr aus Kabelsträngen und pentagrammatischen Leiterplatten und seufzte. Sollte sich herausstellen, daß die Modellversion der Thaumaturgischen Physiker tatsächlich leistungsfähiger war, dann blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als dieses Ding zu verbessern. Wenn nicht, dann konnte er genausogut mit dieser inzwischen dreißig Jahre alten Version weiterarbeiten. Er schüttelte den Kopf und kicherte leise. Es war einfach unglaublich, wie erbärmlich das Ablagesystem war, das die Thaumaturgischen Physiker benutzten! Welch schlechtes Gedächtnis sie doch hatten! Konnte sich wirklich keiner von ihnen mehr daran erinneren, daß sie schon vor dreißig Jahren ein beinahe identisches Gerät entwickelt hatten? Offensichtlich nicht.

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