Die narzisstische Gesellschaft
lassen.
Altbundeskanzler Helmut Schmidt mit seiner Nikotinsucht ist ein gutes Beispiel dafür, wie einseitiges Denken in der Medizin – die nachgewiesene Schädlichkeit des Rauchens – dem komplexen Geschehen nicht gerecht wird. Offenbar ist der narzisstische Regulationsnutzen des Rauchens für Helmut Schmidt wesentlich größer als die Nikotinschädlichkeit.
Gesundheitsförderliche Vorsätze scheitern meistens an den narzisstisch begründeten Widerständen, die sowohl im einzelnen Menschen als auch in den sozialen Verhältnissen und in den Lebensformen zu finden sind. Guter Rat verschärft häufig sogar das Problem: Der einsichtige und vernünftige Mensch möchte den Rat annehmen und umsetzen; scheitert er dann – wie so häufig –, wird sein Stress noch größer. Gar nicht so selten wird der Erfolg einer empfohlenen Maßnahme auch durch vom Einzelnen nicht einkalkulierte und nicht beherrschbare Effekte zunichtegemacht, bei Gewichtsreduktion etwa durch den sogenannten Jo-Jo-Effekt; er führt dazu, dass man nach einiger Zeit noch mehr wiegt als zuvor. Dann sucht sich das zugrunde liegende unerkannte und ungelöste (narzisstische) Problem eine andere Ausdrucksform. Nehmen wir einmal an, es handelt sich um orale Ersatzbefriedigung (Essen statt Liebe) oder um den Nachweis der Gewichtigkeit der eigenen Existenz, die nach dem Abnehmen nicht mehr über das Körpergewicht zum Ausdruck gebracht werden kann. Dann wird die nun nicht mehr im Übergewicht gebundene Energie anderweitig und notfalls auch destruktiv verbraucht werden müssen, etwa indem man sich mit sportlichen Leistungen oder mit Karrierewünschen plagt oder sich zunehmend in der Familie aufspielt.
Derlei empirische Erfahrungen sind der Grund für die Notwendigkeit, diese Zusammenhänge genauer zu erforschen. Vorstellen kann ich mir das nur auf Basis einer «Energiemedizin». Die sogenannte ganzheitliche Medizin hat bereits eine wichtige Hürde im Verständnis von Erkrankungen genommen, indem für alle Erkrankungen biologische
und
kulturelle Erklärungen, genetische
und
Umweltfaktoren, körperliche, psychische, soziale
und
spirituelle Einflüsse geltend gemacht werden. Die Forschung muss sich um das jeweilige Verhältnis der einzelnen Faktoren und um die Art und Weise ihres Zusammenspiels kümmern. Die «Energiemedizin» geht noch darüber hinaus. Ihr zentraler Forschungsgegenstand ist das Verständnis für die energetischen Verhältnisse des Menschen: für die Lebensenergie, für Beziehungsenergie, Gruppenenergie, Sozialenergie, religiöse und spirituelle Energie. Welche energetischen Einflüsse machen auf welche Weise krank oder erhalten Gesundheit? Wie wirken Liebe oder Hass? Wie und aus welchen Gründen tut mir ein anderer Mensch gut oder nicht? Was heißt das, dass «die Chemie» zwischen zwei Menschen stimmt? Wieso ist mir jemand auf Anhieb sympathisch und ein anderer unsympathisch? Was ist Charisma? Auf welche Weise setzt man sich durch? Wodurch wird man glaubhaft, überzeugend? Weshalb ist man immer ein Verlierer? Weshalb fühle ich mich zu einigen Menschen hingezogen und zu anderen nicht? Wieso spüre ich, was mich erwartet? Wie entstehen Vorahnungen? Wieso stecken echte Gefühle an? Woran merke ich, dass jemand lügt? Wie wirkt religiöser Glaube? Wie wirkt Astrologie? Was passiert bei Meditation? Wie wirkt eine Suggestion? Weshalb werden bestimmte Situationen zu Auslösern für Erinnerungen?
Ich weiß natürlich, dass es bereits eine Reihe von Antworten auf diese Fragen gibt. Physiologisch messbare Wirkungen und der Einfluss von Transmittern und Hormonen im Gehirn erklären aber noch lange nicht die spezifischen, individuellen Wahrnehmungen. Was wir wirklich vom ganzen Menschen verstehen, nimmt sich im Verhältnis zu unserem Detailwissen noch recht bescheiden aus. Die Zerlegung der Erkenntnisse in Wissensbausteine ist weit vorangeschritten; doch wie alles zusammenwirkt, was den einzelnen Menschen wirklich ausmacht, was ihn beseelt und woher seine Lebensenergie kommt und wohin sie geht, bleibt ein Geheimnis. Ich würde sogar so weit gehen, die ehrgeizige Erforschung der Details als ein narzisstisches Phänomen zu deuten, das der Abwehr jener Demütigung dient, die aus dem grundsätzlichen Nichtwissen des Menschen resultiert.
Wenn wir uns die narzisstische Problematik vergegenwärtigen, liegt eine energetische Interpretation auf der Hand. Wie wir gesehen haben, entsteht die narzisstische Störung vor allem durch Bestätigungs- und
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