Die narzisstische Gesellschaft
ausbremse, werde ich beachtet.» Das bedeutet aber gerade nicht Liebe um seiner selbst willen, mit der Folge, dass das Angebot der Bedürftigkeit leicht Suchtcharakter bekommt.
Die gebremste und zurückgehaltene Lebensenergie ist die wichtigste Ursache aller depressiven und angstvollen Zustände. Depression entsteht immer bei verhinderter Aggression, insbesondere bei nichtgelebter konstruktiv-aggressiver Selbstentwicklung und Lebensgestaltung. Und Angst ist immer ein Ausdruck der Enge, wenn lebendige Impulse Handlungen fordern, die man sich nicht erlaubt, weil damit die Befürchtung verbunden ist, die hilfreiche Zuwendung könnte entzogen werden. Die nicht freigelassene und ausgestaltete Lebensenergie führt zur Erschöpfung durch ständiges Bremsen und anstrengende Zurückhaltung ohne sichtbare Leistung. Auf diese Weise entsteht neben der Depression die neurasthenische Schwäche, die vorzeitige Erschöpfung (Burn-out) ohne wesentliche Überforderung, das Gefühl, nicht mehr zu können, nicht beansprucht werden zu dürfen, nicht mehr leistungsfähig zu sein, nach kurzer Anstrengung erschöpft zu sein, überall unbestimmte körperliche Beschwerden zu spüren, die dann beispielsweise als «Fibromyalgie» oder die vielfachen «rheumatischen» Erkrankungen einen medizinischen Namen bekommen. Leicht wird die erlebte Schwäche äußeren Verursachern zugeschrieben, also einer realen Überforderungssituation oder Mobbingverhältnissen. Das hat den Vorteil, tatsächliche oder vermeintliche Schuldige benennen zu können, die dann auch etwas von der frühen Enttäuschung und Empörung abbekommen.
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16 Narzissmus und Pubertät
Pubertät ist keine Krankheit. Pubertät ist auch keine normale Entwicklungskrise. In der Altersgruppe der Zwölf- bis Achtzehnjährigen eskaliert vielmehr das narzisstische Defizit. Der Mangel an Liebe und Bestätigung wird nicht mehr widerspruchslos hingenommen. Die Wahrheit über elterliches Unverständnis und emotionale Mangelversorgung dringt immer mehr ins Bewusstsein der Heranwachsenden, lässt sich durch Ausreden und verlogene Erklärungen der Eltern nicht länger beschönigen und durch Unterdrückung und Einschüchterung nicht verhindern. «Pubertät» ist eine verständliche, notwendige, eigentlich gesunde Revolte gegen das verletzende, verlogene und einengende Elternregime. In der «Pubertät» bekommen die Eltern die Rechnung für ihre Fehler präsentiert. «Pubertät» ist der Protest der Kinder gegen schlechte Behandlung. Dabei meint «schlecht» nicht nur Gewalt und offensichtliche Vernachlässigung, sondern vor allem versteckter Liebesmangel, der sich besonders gern hinter betonter Zuwendung und materieller Überversorgung verbirgt. Es geht um die Empathiefähigkeit der Eltern, nicht um ihren Bildungs- und materiellen Versorgungsehrgeiz.
Jugendliche haben wichtige Entwicklungen zu gestalten. Sie werden geschlechtsreif und haben drängende sexuelle Bedürfnisse. Sie sind dabei, erste freundschaftliche und partnerschaftliche Beziehungserfahrungen mit dem anderen Geschlecht zu machen. Sie schließen die Schule ab und orientieren sich in Richtung Ausbildung und Beruf. Das alles erfordert Auseinandersetzung, Entscheidungen und die Klärung von Konflikten. Ganz neue soziale Erfahrungen müssen angenommen und verarbeitet werden. Immer geht es darum, die eigene Identität zu finden und Fremdanforderungen zu beantworten, Autonomie und Abhängigkeit immer wieder neu zu bestimmen. Selbstwert, Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit sind stark gefordert. Verständlich also, dass sich narzisstische Defizite jetzt besonders stark manifestieren. Die Dekompensation narzisstischer Störungen macht sich als Verhaltensstörungen, süchtiges Agieren (Computer, Drogen, Alkohol), somatisierte Beschwerden und, zugespitzt, als schwere psychische Erkrankungen bis hin zur Suizidalität bemerkbar. «Pubertät» zeigt sich so als nicht mehr zu kompensierende Krise narzisstischer Defizite. Dazu kommt das Unverständnis der Eltern, die vielleicht eine dunkle Ahnung haben, dass der pubertäre Protest auch Folge ihres Versagens sein könnte. Neigen sie zwecks Abwehr aufkeimender Schuldgefühle zu besonders heftigen Gegenreaktionen in Form von Verboten, Strafen, Gewalt oder Beschimpfungen, dann haben beide Seiten – Eltern und Jugendliche – ein Kampffeld gefunden, das vom narzisstischen Problem wirkungsvoll ablenkt.
Was könnte helfen? Die Eltern sollten verstehen lernen, dass das Verhalten ihrer
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