Die narzisstische Gesellschaft
narzisstische Regulationsform. Solange man macht, was erwünscht und erwartet wird, erfährt man Zustimmung und Lob und ist permanent von der Selbstwahrnehmung – und damit von der Wahrnehmung des eigentlichen narzisstischen Defizits – abgelenkt. Auf dieser Grundlage wird eine Abhängigkeitsstruktur entwickelt – die beste Voraussetzung, um als Mitläufer und Untertan in sozialen Systemen in Ruhe gelassen oder sogar gebraucht und geschätzt zu werden. In Partnerschaften übernimmt man den Part des Konarzissten, indem man abspürt und zu erfüllen trachtet, was der andere will und braucht. Für diese Dienstbarkeit wird man dann auch «geliebt». Gut wahrnehmen zu können, wie andere fühlen und was sie wünschen, um nicht wahrnehmen zu müssen, was man selbst fühlt und sich wünscht, ist auch eine hervorragende Voraussetzung für alle Helferberufe, die sich in den Dienst für andere stellen und eigene egoistische Strebungen dabei aufgeben. So war es Mutti recht!
Durch
Vaterterror
wird das Kind eingeschüchtert und in seinem natürlichen Expansionsdrang gehemmt. Das ist eine schwere Hypothek für die narzisstische Regulation, da ja in diesem Fall bei allen Selbstverwirklichungsversuchen Strafe, Abwertung und Verachtung drohen. Das Kind hat also keine Chance zur offensiven Entwicklung. Es bleibt nur die Möglichkeit, das Donnerwetter abzuwarten, die Strafe auszusitzen und heimliche Wege der Selbstbestätigung zu gehen. Das Kind wird sich nicht mehr mitteilen und sich in seine Welt zurückziehen, die es vor dem Vater geheim hält. Es wird sich aber Gleichgesinnten anschließen, sich in Gruppen stabilisieren und andere väterliche Instanzen suchen. Rückzug aus der eigenen Familie, Heimlichkeiten, häufig auch Lügen aus Gründen des Selbstschutzes auf der einen Seite und Aufblühen in Ersatzwelten auf der anderen Seite sind dann die psychosozialen Folgen für das Kind. Hier entscheidet sich oft sein Schicksal: Entweder es findet Kontakt zu hilfreichen Ersatzvätern und Gruppen, etwa in der Schule, beim Sport, in Interessen- und Hobbygemeinschaften, in religiösen und politischen Jugendverbänden; dann übernehmen Lehrer, Trainer, Verbandsleiter, Geistliche oder Politiker die gute väterliche Funktion. Oder die Heranwachsenden werden in ihrem Bedürfnis nach väterlicher Unterstützung, nach Forderung und Anleitung Opfer von Verführern, die den eingeschüchterten jugendlichen Expansionsdrang für ihre Interessen und Bedürfnisse missbrauchen und entsprechend fehlleiten. Die häufige Radikalität von Jugendlichen entspringt einem solchen Missbrauch, indem ihre verständliche Aggression ausgebeutet wird. Unsere Zeit hält für die gebremsten Jugendlichen eine Fülle von Ablenkungsmöglichkeiten bereit. Computerspiele, das Internet, Videos und Musik können die Einengungen vergessen machen und ein Scheinleben simulieren, so dass die eigentliche Entwicklungsstörung nicht mehr wahrgenommen und erlitten werden muss.
Bei
Vaterflucht
fehlt die Unterstützung, die Förderung durch den Vater. Der Vater fällt als Vorbild aus, mit dem man sich auseinandersetzen kann. Indem sich der Heranwachsende mit dem Vater identifiziert oder sich von ihm abgrenzt und eigene Positionen findet, werden Väterlichkeit und Männlichkeit bewusst mit eigenen Erfahrungen besetzt. Diese wichtige Entwicklungsstufe wird bei Fehlen des Vaters erschwert oder unmöglich gemacht. Gute Väterlichkeit hilft dem Kind, allmählich von der Mutter loszukommen, unabhängiger zu werden, die eigenen Möglichkeiten zu entfalten, Begrenzungen zu erleben und annehmen zu lernen und somit fähig zu werden, die eigene Welt zu gestalten. Bei Vaterflucht fehlen die notwendige Förderung und Forderung. In dem Fall, dass diese nicht von Ersatzvätern ausgeübt werden bzw. die Mutter nicht auch väterliche Funktionen übernimmt – was in aller Regel schwer genug, aber möglich ist –, dann bleiben die vaterlosen Kinder oftmals muttergebunden und mutterabhängig. Die Folgen davon sind zunehmend unangemessene Bequemlichkeit, mangelnde Anstrengungsbereitschaft und fortgesetzte Versorgungswünsche, die im «Hotel Mama» kultiviert werden. Ähnlich wie beim «Vaterterror» werden zur narzisstischen Regulation der Vaterflucht ebenfalls Ersatzväter gebraucht, doch mit einem entscheidenden Unterschied für die aktive Lebensgestaltung. Verspürt der Heranwachsende bei Vaterterror noch einen angemessenen aggressiven Stachel, sich doch zu entfalten, so bleibt bei
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