Die narzisstische Gesellschaft
bringen, ist mächtig; in diesem Fall wäre ja nicht nur das Einzelschicksal oder ein individuelles narzisstisches Problem durchleuchtet worden. Vielmehr hätte das narzisstisch begründete Zusammenspiel des Politikbetriebs mit einer Mehrheit von Wählern zum Thema werden müssen, die ein solches Führerpaar nicht nur toleriert, sondern nahezu braucht, um hinter dem Vorbild die eigene Minderwertigkeitstragödie verstecken zu können, verbunden mit der Illusion, dass dennoch Großes möglich sei.
Das Beispiel Kohl macht noch eine andere Erfahrung deutlich: Die wahre Existenz bringt sich immer irgendwie zur Geltung. Dieser Gedanke ist sicherlich der Hoffnung geschuldet, die kulturelle und psychosoziale Entfremdung entdecken, verstehen und womöglich sogar überwinden zu können. Die Psychotherapeuten leben jedenfalls von dieser Übersetzerkunst. Das müssten alle anderen Medizinfachbereiche auch tun, aber diese beschränken sich überwiegend auf die Organisation von Krankheiten und deren «Bekämpfung», wollen mit dem Verstehen und Verändern komplexer Ursachen nichts zu tun haben. Jedenfalls sind Erkrankungen sehr häufig Signale des falschen Lebens. So gesehen liegt die Tragik einer Hannelore Kohl nicht in ihrer mysteriösen Erkrankung, sondern in der Inkompetenz der Helfer. Und auch der geschichtsschwere Kanzler hat eine Form gefunden, auf sein falsches Leben aufmerksam zu machen: die Spendenaffäre. Damit hat er sich selbst enttarnt, nur fällt es schwer, diesen Akt der Selbstdenunziation auch als solchen zu verstehen. Was soll er denn noch machen, wenn es niemand wagt, die Verletzung des Gesetzes zu ahnden und den «Frosch» durch einen angemessenen Akt der Aggression zu erlösen. Aber das ist das Märchen; in der Realität bekommen wir zwar Signale tieferer Wahrheit, doch diese anzunehmen würde – angesichts dieser Fallhöhe – nicht nur einen individuellen (narzisstischen) Kollaps bedeuten, sondern womöglich den Einsturz eines gesamten Politiksystems narzisstischer Kollusion. Wir sollten nicht von einem «freien Willen» und von «freien Wahlen» ausgehen – was wir uns gerne einbilden oder einreden lassen –, sondern von einem unbewussten Zusammenspiel narzisstischer Größensuggestion und narzisstischer Erlösungsillusion.
Wenn ein Karl Theodor zu Guttenberg aus narzisstischer Not eine Doktorarbeit zusammenklaut, so ist das kaum verwunderlich, das gehört zum Selbstverständnis des Narzissten auf diesem Herkunftslevel: das selbstverständliche Gefühl, dass ihm ein Doktortitel einfach zusteht und es eher verwunderlich ist, dass man damit nicht schon wie mit dem Adelstitel geboren wurde. Aber höchst bedenklich stimmt die Beobachtung, dass viele ihren Politikstar so bald wie möglich wieder in politischen Ämtern sehen möchten. Das ist nicht nur ein Verleugnungsmechanismus, sondern eine narzisstische Zwangsjacke. Die gegenwärtige Politik, die nur Narzissten machen können, dient vor allem deren Selbstwertstabilisierung. Mag sein, dass auch andere davon Vorteile haben, aber das ist nicht ausschlaggebend. Die Beliebtheitsskala besagt vor allem, dass der Politiker am meisten geschätzt wird, der am höchsten und elegantesten betrügt und lügt. Damit wird vor allem die narzisstische Abwehr der Anhänger gestärkt, denn diese ist ja ein Lügengebäude, ein Selbstbetrug hinsichtlich der eigenen Größe oder Kleinheit. So ein Politiker ist wie eine Wundsalbe auf die eigenen Verletzungen. Dagegen würde jeder ehrliche Politiker die Abwehr seiner Anhänger in Frage stellen und die verborgene Wahrheit beleben – was zuerst Angst machen und dann Schmerz auslösen würde. Aber wer will das schon? Deshalb werden die zu Guttenbergs und Kohls immer weiter regieren.
3.
Die dritte Variante narzisstischer Partnerschaft lebt von der Möglichkeit, dass einer den anderen ständig abwertet. Es ist eine permanente Sündenbock-Beziehung: «Du bist schuld!», «Du bist unmöglich!», «Ich leide, weil du …»
Der aktive Größenselbst-Narzisst findet in der Partnerschaft eine einfache, jederzeit verfügbare Projektionsfläche für seine (berechtigten!) Aggressionen aus früher Kränkung und Abwertung. Nur trifft sein Zorn jetzt den Falschen – der Partner ist lediglich der «Blitzableiter», der herhalten muss, um die innere Spannung des Unbefriedigtseins abzuführen. Es wird also ein geeigneter Partner gebraucht, der Schwächen, Fehler oder Mängel aufweist bzw. solche häufig produziert, so dass sich immer
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