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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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partnerschaftlicher Kollusion:
    Ein typisches Beispiel für kollusive Partnerschaft zwischen einem bewunderten und einem sich aufopfernden Partner war die Ehe des Altbundeskanzlers Helmut Kohl mit seiner Frau Hannelore. Für Kohl darf wohl eine besondere narzisstische Problematik angenommen werden: der Machtmensch, der Patriarch – ein Ober-Narzisst, der seine Karriere über alles stellte, der Macht, Bedeutung und Gewichtigkeit zur narzisstischen Regulation brauchte. Im Selbstmord seiner Frau und in der publizistischen Auseinandersetzung seiner Söhne mit ihm und dem familiären Leben macht sich der Schatten einer derart zwanghaften Existenz geltend. Die rätselhafte Erkrankung von Hannelore Kohl, die zuletzt nur noch «im Schatten» existieren konnte, bietet gerade auch mit dieser Symbolik einen Deutungsansatz.
    Die Kohl’sche Ehe entspricht dem Prototyp einer kollusiven Verbindung von Größenselbst und Größenklein. Der eine ist ein Leben lang bemüht, sein Nichtigkeitsgefühl durch enorme Gewichtigkeit zu kompensieren, während sie – die Gattin – konarzisstisch dem Partei- und Staatsführer dient, ihm und seiner Bedeutung ihr Leben widmet. Dass diese Haltung keine selbstlose Größe bedeutet, sondern selbst Halt gebende Aufgabe und Orientierung in tiefster Verunsicherung ist, wird erst mit dem tragischen Selbstmord erkennbar.
    Das beschriebene Krankheitsbild «Lichtallergie» bleibt medizinisch umstritten, in der Ursache unklar, eine eindeutige Zuordnung in bekannte Zusammenhänge mit Medikamenten, Kosmetika oder anderen Stoffen gelingt nicht. Selbst eine ursächliche Verbindung zu einer früheren Penicillinallergie bleibt ausgesprochen fraglich. Auffällig ist aber, dass eine naheliegende psychosomatische und neurotische Genese nicht diskutiert wird. Dabei bietet die «Schattenexistenz» der Hannelore Kohl im Glanz ihres Mannes eine fast nicht zu übersehende Aufforderung zum symbolischen Verständnis ihres grundsätzlichen Leidens. Das narzisstische Minderwertigkeitsgefühl sucht nach einer Möglichkeit der Kompensation, die Frau Kohl im Dienste einer First Lady gefunden hatte. Sie ist nicht Opfer des Macho, sondern durchaus auch «Täterin», die von der Größe des Partners lebt und ihn deshalb auch stützt, aufbaut und entsprechend versorgt.
    Dass ihre Krankheit keine Hauterkrankung ist, sondern als eine seelische bzw. psychosomatische Reaktion auf Licht (d.h. auch auf Erkenntnis, auf Wahrheit) verstanden werden kann, wird als mögliche Deutung wahrscheinlich, vor allem wenn man die narzisstische Krise der letzten Lebensjahre ihres Mannes berücksichtigt. Das «Monument» Kohl war durch die Spendenaffäre nachhaltig erschüttert. Seine trotzige Verweigerung, die Spender zu nennen, sollte jedoch nicht als besondere Charakterstärke verstanden werden, sondern eher als Charakternot – denn es ging nicht nur um die Preisgabe von Namen, sondern um das narzisstische Korsett des wuchtigen Mannes. Er konnte nicht nachgeben, ohne dass sein gesamtes narzisstisches Lebensgebäude – das falsche Leben, das Ersatzleben durch Macht – zusammengebrochen wäre. Ich war bei diesem Schauspiel an den Starrsinn Erich Honeckers erinnert, der nach dem Zusammenbruch seiner Ideale, dem Kollaps der DDR , mit erhobener Revolutionsfaust ins chilenische Exil abflog. Nur im Festhalten am Irrtum – der narzisstischen Halt gegeben hat – scheint Weiterleben möglich, ansonsten würde man augenblicklich zusammenbrechen. Die in der narzisstischen Kompensation gebundene Energie formiert sich im Trotz, im Starrsinn, in der arroganten Überzeugung neu, gegenüber allen anderen doch recht zu haben.
    Hannelore Kohl dürfte die Schmach ihres Mannes, seinen Absturz, als Verlust ihres narzisstischen Schirmes erlebt haben, so dass sie sich vom Licht der Wahrheit unerträglich geblendet gefühlt haben mag und ihre verständliche Scham nur noch durch Dunkelheit zu verbergen wusste. Ich habe nichts davon gelesen oder gehört, dass das Ehepaar Kohl Psychotherapie oder Paarberatung in Betracht gezogen hätten. Indem ich das schreibe, spüre ich das Groteske dieser Feststellung – die Unmöglichkeit dieses Gedankens bei Narzissten dieses Formats – und bin zugleich davon überzeugt, dass dort die einzig mögliche Hilfe zu finden gewesen wäre. Offenbar haben hier nicht nur die narzisstische Festung Familie, sondern auch der Medizinbetrieb und der journalistische Voyeurismus versagt. Die kollektive Abwehr, kein Licht ins Dunkle zu

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